Thema des Tages

20-02-2019 08:50

Der Strahlungshaushalt der Erde

Wenn wir Meteorologen im engeren Wetterkontext von "Strahlung"
sprechen, meinen wir in der Regel die von der Sonne ausgehende
elektromagnetische Wellenstrahlung. Was sich nach einem komplizierten
physikalischen Phänomen anhört - und bei entsprechender
Detailverliebtheit auch dazu wird - ist eigentlich etwas
Alltägliches, etwas, dass wir sehen und spüren können. Die Sonne
strahlt in alle Richtungen Energie in das Weltall und damit auch in
Richtung unserer Erde. Einen Teil dieser Energie sehen wir als helles
Sonnenlicht, einen anderen Teil spüren wir nur als Wärme auf der
Haut. Ersteres bezeichnet man als kurzwellige Strahlung, zu der auch
die Sonnenbrand verursachende, nicht sichtbare UV-Strahlung gehört.
Letzteres wird langwellige Strahlung, manchmal auch Infrarot- oder
Wärmestrahlung genannt.

Unter dem Strahlungshaushalt der Erde versteht man die Differenz der
ankommenden und wieder abgegebenen Energie am Rande der Atmosphäre.
Die von der Sonne auf die Oberseite der Atmosphäre treffende
Strahlung ist zu einem überwiegenden Teil kurzwellig. Im Mittel
werden 30% dieser einfallenden kurzwelligen Strahlung wieder zurück
in das Weltall reflektiert. Dies geschieht zum Beispiel an der
Oberkante von Wolken, an kleinen Partikeln in der Luft und auch am
Boden. Dort weisen insbesondere die Schneeflächen ein bezüglich
dieser kurzwelligen Strahlung sehr hohes Rückstrahlvermögen, die sog.
Albedo, auf. Die restlichen 70% werden vom System Erde-Atmosphäre
aufgenommen, also absorbiert, wobei die Atmosphäre 20%, der Erdboden
50% für sich beanspruchen. Wenn Sonnenstrahlung auf den Erdboden
trifft und absorbiert wird (Wasserflächen und jegliche Art von
Bebauungsflächen inbegriffen), dann erwärmt er sich. In der Folge
wird diese Energie fast vollständig in Form von Wärmestrahlung wieder
an die Luft abgegeben, wo klimawirksame Gase, die sog. Treibhausgase,
diese zu einem sehr großen Teil absorbieren und wiederum an die
Umgebung abgeben - auch zurück in Richtung Erde. Erst durch diesen
Treibhauseffekt "genießen" wir ein vielerorts erträgliches Klima mit
einer globalen Mitteltemperatur von +15 statt unwirtlichen -18 Grad
(natürlich abzüglich des menschgemachten, anthropogenen Anteils am
Treibhauseffekt). Stellt man die kurzwellige und die langwellige
Bilanz gegenüber, ergibt sich für die Atmosphäre ein Verlust von 30 %
der ursprünglich ankommenden Sonnenstrahlung, für die Erdoberfläche
ein Gewinn von 30 % (siehe Grafik zur Veranschaulichung des
Strahlungshaushalts auf
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/2/20.html). Wie bei
vielen Prozessen in der Natur, wird auch in diesem Fall versucht, dem
Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Damit sich die Erdoberfläche nicht
fortschreitend erwärmt und die Atmosphäre abkühlt, sorgen sog.
Wärmeflüsse vom Erdboden zur Atmosphäre für einen Ausgleich. Das kann
durch Luftmassenumwälzungen (Konvektion) in Form von "fühlbarem
Wärmefluss" oder durch Verdunstung und Kondensation von Wasser in
Form von "latentem Wärmefluss" geschehen.

Der Strahlungshaushalt der Erde scheint somit vollends ausgeglichen,
der Nettogewinn bzw. -verlust null und das Klima damit stabil -das
gilt allerdings nur näherungsweise global über ein Jahr gemittelt und
ohne Berücksichtigung des Einflusses des menschlichen Handelns.
Tatsächlich ist der Strahlungshaushalt starken räumlichen und
zeitlichen Schwankungen unterworfen. Die Ursachen dafür sind
vielfältig (Variationen in Bewölkung, Boden- und Luftbeschaffenheit,
insbesondere deren Albedo, usw.). Entscheidend für die Bilanz ist in
jedem Fall aber der zeitlich variable "Sonnenstand", also der Winkel,
mit dem die Sonnenstrahlung auf die Atmosphäre trifft. Es resultieren
neben den offenkundigen tageszeitlichen auch jahreszeitliche
Schwankungen. In den Sommermonaten sorgt der im Mittel hohe
Sonnenstand dafür, dass mehr Energie auf die Atmosphäre trifft,
wodurch die Bilanz positiv wird, genau umgekehrt in den
Wintermonaten. Das ist auch der Grund, dass bei einer sonnigen
Hochdruckwetterlage im Sommer auch ohne das Heranführen von Warmluft
alleine durch eine positive Strahlungsbilanz in der Regel Tag für Tag
eine Erwärmung zu verzeichnen ist, während im Winter bei ruhigen
Hochdrucklagen eine negative Strahlungsbilanz eine allmähliche
Abkühlung zur Folge hat. Gemittelt über ein Jahr und die geografische
Breite zeigt sich in Äquatornähe eine positive, in Polnähe dagegen
eine negative Strahlungsbilanz, wobei sich etwa zwischen 35 und 40
Grad nördlicher und südlicher Breite der "Umkehrpunkt" befindet (also
beispielsweise etwa auf der Breite von Südspanien).

In den geografischen Breiten, in denen sich auch Deutschland
befindet, ist die mittlere Strahlungsbilanz über das Jahr gesehen im
Mittel also leicht negativ, auch weil sie erst ab Anfang April ein
positives, ab Ende August aber schon wieder ein negatives Vorzeichen
bekommt (eine Animation der saisonalen Schwankungen der
Strahlungsbilanz finden Sie als Link unter dem Artikel auf
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/2/20.html). Ohne
das Wetter bzw. die großräumige Zirkulation als Maßnahme der Natur,
Energie von niedrigen in hohe Breiten zu transportieren und so das
globale Energieungleichgewicht aufzuheben, würde es bei uns im
vieljährigen Mittel immer kälter werden. Man kann also mit Fug und
Recht behaupten, dass die Sonne und der Strahlungshaushalt auf der
Erde der Motor für unser Wetter darstellt.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.02.2019

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