Thema des Tages

13-06-2019 10:20

Stationäre Verhältnisse

Erklärt wird der mögliche Zusammenhang zwischen der derzeitigen
Wetterlage und Anomalien bei den Meeresoberflächentemperaturen und
warum die Wetterlagen derzeit erneut so persistent sind.

Wenn man sich derzeit die Großwetterlage über Europa und dem Atlantik
so anschaut, könnte jemand auf die Idee kommen "Und täglich grüßt das
Murmeltier" zu sagen. Aber ganz im Ernst. Momentan erleben wir eine
recht eingefahrene Wetterlage, geprägt durch die stationäre Lage von
Hoch- und Tiefdruckgebieten über Europa und dem Atlantik. Das heißt,
dass sich die Druckgebilde entweder nur wenig verlagern oder sich
ständig an ähnlicher Stelle neu regenerieren.

Aber woran liegt das? Ein Grund hierfür ist sicher dem Umstand
geschuldet, dass die in unseren Breiten vorherrschende westliche
Strömung gestört ist. Diese westliche Strömung stellt sich ein, wenn
warme Luft vom Äquator polwärts strömt und umgekehrt kalte Luft von
den Polen südwärts vordringt. Dieser Luftaustausch kann aufgrund der
Erddrehung nicht direkt erfolgen, sondern nur in Etappen und sorgt
andererseits auch für die Ausbildung von Hoch- und Tiefdruckgebieten.
Zwischen hohem Luftdruck im Süden (hier Azorenhoch) und tiefem
Luftdruck im Norden (hier Islandtief) baut sich demnach ein
Temperatur- und Druckgradient auf, und zwar sowohl am Boden als auch
in der Höhe. Diese Gradienten nehmen mit der Höhe weiter zu und
erzeugen so den so genannten Jetstream mit extrem hohen
Windgeschwindigkeiten, der im Mittel von West nach Ost orientiert ist
(wie der Impuls der Erddrehung). Das führt in unseren Breiten zu den
so genannten Westlagen. Genau dieser Temperaturunterschied zwischen
Süd und Nord nimmt aber aufgrund der mittlerweile auch in
klimatologischen Zeiträumen spürbaren Erderwärmung ab, und das vor
allem deshalb, weil sich das Arktisumfeld deutlich schneller erwärmt.
Das hat grob gesagt und unter Vernachlässigung von Zusatzeffekten zur
Folge, dass der Luftmassenaustausch gemittelt und in unseren
Breitengraden eher meridional und nicht zonal erfolgt. Dies führt zu
einer langsameren Verlagerung der Druckgebilde von West nach Ost bzw.
zu sich ständig neu generierenden Wetterlagen (siehe auch Neuschnee
in den Alpen im letzten Winter teils über 2 bis 3 m in relativ kurzer
Zeit durch andauernde Staulagen).

Wer oder was ist noch dafür verantwortlich? Ja, der folgende
Zusammenhang ist ähnlich zu betrachten im klimatologischen Aspekt,
aber mit unmittelbaren Auswirkungen auf unser tägliches Wetter: Es
geht um die positiven Anomalien, also die positiven Abweichungen der
Meeresoberflächentemperaturen von den Normalwerten. Wenn man sich die
aktuellen Anomalien anschaut, z.B. über dem Atlantik (siehe Grafik:
www.cpc.ncep.noaa.gov/products/analysis_monitoring/lanina/enso) und
diese mit den momentan herrschenden Druckverhältnissen vergleicht,
sieht man sofort eine relativ gute Übereinstimmung mit der Lage der
Druckgebilde über Europa und dem Atlantik. Da haben wir einerseits
positive Temperaturabweichungen über dem Ostatlantik und das
korrespondierende und lagestabile Hochdruckgebiet über Skandinavien
bzw. dem nordwestlichen Russland. Andererseits haben wir auch
deutlich positive Abweichungen in einem Streifen von Ostgrönland bis
zu den Azoren, wo auch hoher Luftdruck überwiegt. Beide Anomalien
sind besonders in höheren Luftschichten stark ausgeprägt.
Diese beiden Anomalien erzeugen ein so genanntes Blocking, das heißt,
sie verhindern die West-Ostverlagerung von Druckgebilden und stellen
daher physikalisch eine stehende Welle dar. Stationär oder stehend
deshalb, weil sich zwar die Wellenphase verlagert, aber die Welle
selbst nicht. Von daher regeneriert sich eine ähnliche Wetterlage
beliebig oft. Das Problem dabei ist, dass diese Störungen (oder die
Anomalien von Druck und Temperatur) bis hoch in die obere Troposphäre
und die untere Stratosphäre übertragen werden und damit die einmal
eingefahrenen Druckverhältnisse durch entsprechende Interaktionen und
Rückkopplungen noch stabiler werden lassen.

Wie geht es jetzt weiter? Die beschriebenen Anomalien der
Meeresoberflächentemperaturen sind relativ persistent. Von daher
könnte man erwarten, dass sich die Großwetterlage nicht wesentlich
ändert. Sicher sind kleine Verschiebungen der Phase, in der wir uns
derzeit befinden möglich. Das könnte einerseits auch mal ruhiges und
recht warmes bis heißes Hochdruckwetter bedeuten, andererseits
könnten atlantische Tiefdrucksysteme mit ihren Fronten auch mal
Mitteleuropa überqueren und für kühlere und nasse Verhältnisse
sorgen. Aber, durch die jetzige Lage Mitteleuropas im Grenzbereich
zwischen heißer Subtropikluft und kühlerer atlantischer Meeresluft
sind Unwetterlagen weiterhin auf dem Programm. Eine durchgreifende
Zonalisierung der Strömung, d.h. Westwetterlagen, wie sie von einigen
Modelläufen zum Ende der nächsten Woche gerechnet werden, erscheint
aus den oben genannten Gründen nicht sehr wahrscheinlich.


Dr.rer.nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.06.2019

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