Thema des Tages

14-07-2019 07:50

Gewitter ist nicht gleich Gewitter - die Superzelle, ein rotierendes
Monster

Gewitter treten in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Im
heutigen Thema des Tages wird die Superzelle vorgestellt, ein
rotierendes "Monster" mit erheblichem Zerstörungspotential.

Gewitter können große Schäden verursachen und für Menschen im Freien
sogar lebensgefährlich werden. Extreme Unwetter im Mittelmeerraum vor
ein paar Tagen zeigten dies eindrucksvoll (siehe Thema des Tages vom
11. Juli). Besonders gefährlich ist die sogenannte "Superzelle", eine
rotierende und langlebige Gewitterwolke.


Superzellen sind vielen vor allem aus dem mittleren Westen der USA
bekannt. Jährlich zieht es hunderte Gewitterjäger (Stormchaser) in
diese Region, sogar aus Deutschland, um die majestätisch anmutenden
Gewitter zu verfolgen und zu fotografieren. Durch die
meteorologischen Voraussetzungen und das flache Terrain können sich
Superzellen dort ungehindert entwickeln und ihre größte Stärke
entfalten. Sie sind durch ihre zerstörerischen Tornados bekannt, die
dort jedes Jahr über das Land ziehen und alles, was ihnen in die
Quere kommt, dem Erdboden gleich machen.


Was viele nicht wissen, auch bei uns in Deutschland sind Superzellen
gar nicht so selten und kommen jährlich mehrfach vor. Die in diesem
Jahr bisher wohl spektakulärste Superzelle war das Hagelunwetter, das
am 10. Juni im Allgäu entstand und auf seinem Weg nach Nordosten vor
allem im Raum Ammersee und im Münchner Norden Hagelbrocken von 4 bis
8 cm Durchmesser produzierte und sich erst im Bayrischen Wald wieder
auflöste (siehe Thema des Tages vom 11. Juni). Am 28. Juli 2013
verursachte 8 cm großer Hagel einer Superzelle rund um Reutlingen mit
2,8 Mrd. Euro den bisher größten Hagelschaden der Geschichte
Deutschlands und mehrere Hundert Menschen wurden verletzt. Nur ein
paar Tage später, am 8. August, fand man ebenfalls bei Reutlingen mit
14 cm den größten Hagelbrocken Deutschlands. Auch beim Münchner
Hagelunwetter vom 12. Juli 1984 handelte es sich um eine Superzelle.
Damals kamen über der Millionenstadt bis zu 9,5 cm große und 300 g
schwere Hagelgeschosse vom Himmel!


Eine detaillierte Beschreibung der komplexen Luftströmungen in einer
Superzelle (Abb. 1) würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen,
sodass nur die grundlegenden Merkmale erläutert werden. Die
markanteste Eigenschaft der Superzelle ist ihr rotierender
Aufwindschlauch (Updraft). Wie bereits im Thema des Tages vom 6. Juli
erklärt wurde, entscheidet vor allem die Stärke der vertikalen
Windscherung (Zunahme der Windgeschwindigkeit und Änderung der
Windrichtung mit der Höhe), welche Gewitterform sich bildet.
Superzellen entstehen in einer Region, in der eine hochreichende und
starke Windscherung vorherrscht und bodennah Warmluft einfließt. Bei
uns in Deutschland sind diese Voraussetzungen beispielsweise an der
Vorderseite eines Höhentiefs mit Zentrum über Westeuropa gegeben.
Dabei erreicht uns in tieferen Luftschichten feuchte subtropische
Warmluft, also eine sehr energiereiche Luftmasse (hohe CAPE), und der
Wind erfährt eine deutliche Rechtsdrehung mit der Höhe. Durch die
starke Windzunahme in der unteren Atmosphäre beginnt die Luft
horizontal zu rotieren. Der Updraft (rote Pfeile, Abb. 1+2) kippt nun
den rotierenden Wirbel in die Senkrechte und verstärkt ihn weiter.
Durch die Rechtsdrehung des Winds entsteht so ein gegen den
Uhrzeigersinn rotierender Aufwindschlauch mit einem Durchmesser von
zwei bis zehn Kilometern, die sogenannte "Mesozyklone". Sie ist der
eigentliche Motor der Superzelle. Durch die aufsteigende Luft erzeugt
sie am Boden einen Unterdruck (kleinräumiges Tief), wodurch beständig
Warmluft in die Gewitterwolke gesaugt werden und aufsteigen kann. Man
erkennt diesen Vorgang oft an der sogenannten "Wallcloud", einer
Absenkung der Wolkenbasis (Abb. 2+4). Die Scherung sorgt zudem dafür,
dass die ausfließende Kaltluft des Downdrafts (hellblaue Pfeile, Abb.
1+3) hinter der in die Superzelle aufsteigenden Warmluft bleibt
(Böenlinie in Abb. 1). Somit kann die Superzelle kontinuierlich mit
der energiereichen Warmluft gefüttert werden. Durch die Langlebigkeit
und die massive Power des rotierenden Updrafts können die Hagelkörner
mehrfach angesaugt und in die Höhe katapultiert werden. So können sie
zu immer größeren Brocken heranwachsen, bis sie aufgrund ihrer
Schwere schließlich zu Boden fallen. Vor allem an der Böenlinie kann
es extreme Fallböen (Downbursts) geben. Man erkennt sie an der
sogenannten "Shelfcloud" (Abb. 3+4). Auch durch absinkende Kaltluft
aus dem Amboss (dunkelblaue Pfeile, in Abb. 1) kann es am Boden zu
Sturmböen kommen.


Zwar ist eine isolierte Superzelle streng genommen auch eine
Einzelzelle, sie ist aber weitaus mächtiger und langlebiger als ihr
nicht-rotierendes Pendant. Im unteren Teil hat das Gewitter oft eine
Ausdehnung von 20 bis 50 Kilometern, der Cirrusschirm im oberen
Bereich der Wolke kann sogar einen Durchmesser von über 100
Kilometern besitzen. Superzellen existieren meist über mehrere
Stunden, im Extremfall sogar sechs bis zwölf Stunden. Daher können
sie über hunderte von Kilometern ziehen und selbst ohne Tornados eine
Schneise der Verwüstung hinterlassen, insbesondere durch extremen
Hagelschlag. Die Rotation der Superzelle erklärt auch die Bildung von
Tornados. Zudem erreichen die Fallböen teils Orkanstärke und
verursachen erhebliche Schäden. So majestätisch schön sie für den
Beobachter aus der Ferne wirken, so gefährlich und angsteinflößend
sind sie also, wenn man von ihnen getroffen wird.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.07.2019

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