Thema des Tages

04-07-2016 14:40

Gewitterlinien an der Nordsee

Am gestrigen Sonntagmorgen war das regionale Wetterphänomen an der
Nordsee mal wieder eindrucksvoll zu beobachten. In der inneren
Deutschen Bucht formierte sich ein Wolken- und Niederschlagsband, in
dessen Bereich es teilweise anhaltend und heftig schüttete, blitzte
und donnerte. Im Zeitraum von 02 bis 08 Uhr MESZ fielen in St.
Peter-Ording beispielsweise 18 Liter auf den Quadratmeter, knapp 40
Kilometer nordöstlich in Hattstedt bei Husum noch 12 l/qm.

Häufig sind diese Linien nahezu ortsfest, beginnend bei oder knapp
nördlich der Ostfriesischen Inseln, um das Seegebiet um Helgoland,
bevor sie vor St. Peter-Ording, Pellworm, Nordstrand und Husum das
Festland erreichen. Bei nachlassender Wetteraktivität lassen sich die
Schauerstraßen noch regelmäßig bis zur Flensburger Förde verfolgen.

Um den Ursachen auf die Spur zu kommen, bedienen wir uns der
Zutatenmethode, wie sie beispielsweise auch im Thema des Tages vom
27.05.2016 beschrieben wurde. Elementar für die Entwicklung von
Schauern und Gewittern sind ausreichend Luftfeuchte, Labilität und
Hebung.

Nun, genug Feuchtigkeit ist dank der Wasserunterlage der Nordsee
zumindest bodennah kein Problem. Spielen die untere und mittlere
Troposphäre (Schichten bis etwa 5 km Höhe) auch noch mit, sind die
Voraussetzungen bezüglich des Wasserdampfgehalts schon mal gegeben.

Die Schichtung der Atmosphäre wird als labil bezeichnet, wenn sich
die Luft mit der Höhe rasch abkühlt. Ein am Boden erwärmtes Luftpaket
hat dann die Möglichkeit rasch aufzusteigen, da warme Luft aufgrund
ihrer geringeren Dichte leichter ist als kalte Luft ("Archimedisches
Prinzip"). Diese rasche Temperaturabnahme wird bei unserem Beispiel
durch die verhältnismäßig warme Wasseroberfläche generiert. So liegen
die Wassertemperaturen an der Nordseeküste aktuell zwischen 16 und 19
Grad. Gleichzeitig herrschten am gestrigen Sonntagmorgen in rund 5,5
km Höhe Temperaturen um die -25 Grad, was einem Unterschied von mehr
als 40 Grad zwischen beiden Niveaus entspricht. Als Faustformel ist
dies in der Wettervorhersage auch der ungefähre Wert, ab dem man von
einer ausreichend labilen Schichtung sprechen würde. Da die
Kaltluftvorstöße im Herbst an Qualität gewinnen und das Wasser die
Wärme des Sommers länger speichern kann als der Erdboden (hohe
Wärmekapazität), erreichen die angesprochenen Schauer- und
Gewitterlinien im Herbst ihre stärksten Intensitäten.

Zu guter Letzt muss die Luft noch gehoben werden, denn dabei gerät
sie unter geringeren Außendruck, dehnt sich aus und kühlt sich in der
Folge ab, womit der enthaltene Wasserdampf kondensiert. Es bilden
sich Wolken und mit fortschreitendem Prozess auch Niederschläge.
Diese gewissermaßen erzwungene Hebung wird nun durch die bodennahe
Luftströmung hervorgerufen. Während bei auflandiger Komponente der
Wind nahezu ungestört über die offene See fegt, wird er beim Aufprall
aufs Festland abgebremst und zum tiefen Luftdruck abgelenkt.
Klassischerweise modifiziert sich somit ein Westwind über Helgoland
zu einem Südsüdwestwind entlang der Nordfriesischen Küste. Dazwischen
gibt es also einen Bereich zusammenströmender Luftbewegungen
(Küstenkonvergenz), in dem sich dann die Schauer- und Gewitterlinie
formiert (siehe Abbildung).

Aufmerksame Bewohner und Urlauber werden feststellen, dass sich die
Schauerwolken tagsüber häufig "in Luft" auflösen und eher der
Sonnenschein dominiert. Nicht umsonst zählen die Küstengebiete mit zu
den sonnenscheinreichsten Regionen Deutschlands. Dieser Umstand ist
darin begründet, dass sich die Landoberfläche tagsüber durch die
Sonneneinstrahlung erwärmt und somit rasch Temperaturen erreicht
werden, die über den Wassertemperaturen liegen. Die Luftpakete sind
nun landeinwärts wärmer (höhere Labilität) und steigen daher nun
versetzt im Binnenland auf. Nun beginnt gleichzeitig der Seewind
einzusetzen. Dabei weht er anstatt küstenparallel (Südsüdwest) nun
zunehmend senkrecht zur Küste (West). Dadurch verschwindet die
konvergente Luftströmung und somit auch der Hebungsantrieb.

Touristen in Nordseenähe müssen auch in den kommenden Tagen tapfer
bleiben. Neben zeitweiligen Schauern gesellen sich am morgigen
Dienstag mit Annäherung des Tiefs RENATE auch noch Sturmböen mit
Geschwindigkeiten um 80 km/h hinzu. Wie für die teils kräftigen
Regenfälle werden die Einheimischen allerdings dafür auch nur ein
müdes Lächeln übrig haben - schließlich gehören selbst im Hochsommer
einzelne Sturmböen ebenfalls zum festen Repertoire des Nordseeklimas.


Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 04.07.2016

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