Thema des Tages

21-08-2019 09:50

Wenn Luft in die Tiefe stürzt


Spricht man über Gewitter, steht häufig der damit in Verbindung
stehende Aufwind im Mittelpunkt, der die nötige Energie liefert. Aber
da, wo Luft aufsteigt, muss diese an anderer Stelle natürlich auch
wieder absinken. Dabei können mitunter Windgeschwindigkeiten
auftreten, die ein Potenzial für verheerende Schäden aufweisen.


Die heftigen Gewitter vom letzten Sonntag sind noch in aller Munde.
Es gab lokal signifikante Schäden an der technischen Infrastruktur,
an Gebäuden und auch am Wald, wo z.B. im Kreis Offenbach viele Bäume
schneisenförmig einfach umgeknickt wurden. In diesem Zusammenhang gab
es Vermutungen über etwaige Tornados. Offiziell bestätigt wurde
bisher keine Tornado-Meldung, aber auch ohne ein derartiges Szenario
traten lokal Orkanböen über 120 km/h, vereinzelt auch bis zu 150 km/h
auf.

Wie kommen nun solche außergewöhnlichen Windspitzen zustande?
Verantwortlich für diese extremen Windgeschwindigkeiten sind so
genannte Downbursts, also abwärts gerichtete Winde, bei denen unter
Umständen extrem hohe Windgeschwindigkeiten generiert werden. Die
Voraussetzungen für deren Entstehung sind bei folgender Konstellation
gegeben: Es muss sich zuvor ein entsprechend starker Aufwind
(ausgedrückt durch den CAPE-Wert, also die konvektiv verfügbare
potentielle Energie) entwickeln, damit die Konvektion (also das
Aufsteigen von Luft) in Gang kommt. Das geschieht meist durch eine
labil geschichtete Luftmasse, d.h. entweder durch Überhitzung der
Luft in Bodennähe und Aufsteigen dieser dann leichteren Luft oder
aber durch das Vorhandensein von relativ kühlerer Luft in höheren
Luftschichten, wodurch die Luft auch zum Aufsteigen gezwungen wird.
Beim Aufsteigen weist diese Luft einen Zugewinn an potentieller
Energie auf, da diese sich vorübergehend gegen die Schwerkraft der
Erde behaupten kann. Da aber die gesamte Energie und auch Masse
physikalisch Erhaltungsgrößen darstellen, muss zum Ausgleich an
anderer Stelle die Luft wieder absinken. Dabei wird die zuvor
gewonnene potentielle Energie in kinetische, also Bewegungsenergie
umgesetzt. Diese Bewegungsenergie, ausgedrückt durch die
Fallgeschwindigkeit ist umso größer, je größer der negative Aufwind
ist. Dieser Abwind wiederum ist umso größer, je kälter (und damit
schwerer) die absinkende Luft im Vergleich zur normal temperierten
Atmosphäre ist. Auch die Dichte und Form der Niederschlagsteilchen
(dicke Regentropfen oder Hagel) kommt beschwerend hinzu.
Damit verhält es sich genau umgekehrt zur Bedingung für das
Aufsteigen von Luft, wo diese wärmer, also leichter sein muss als die
Umgebungsluft.

Die Downbursts fallen also umso stärker aus, je schwerer das
Luftpaket ist. Zudem wird beim Abwind Luft verdrängt, ähnlich wie
wenn eine U-Bahn in die Station einfährt. Also auch die
Massenverdrängung erzeugt Wind und ersetzt zudem die an anderer
Stelle aufgestiegene Luft. Tja, die Natur mag eben Gleichgewichte,
die kurz mal ausschwingen, sich dann aber rasch wieder einkriegen.

Zusätzlich verstärken kann sich ein Downburst auch dadurch, dass die
bodennahe Schicht relativ trocken ist. Dann verdunstet nämlich ein
Teil des mit Regen oder Hagel gesättigten Luftpakets. Für die
Verdunstung wird aber der Umgebungsluft Wärme entzogen. Damit wird
das herunterrauschende Luftpaket noch schwerer und die
Abwindgeschwindigkeit noch größer. Rein energetisch betrachtet sind
Abwinde mit Geschwindigkeiten von bis zu 50 m/s möglich. Das setzt
allerdings voraus, dass keine thermischen oder Reibungsverluste
auftreten. Thermisch in dem Sinne, dass durch Eintreten von wärmerer
Umgebungsluft (Massemitführung oder Sogeffekt) der Abwind erwärmt und
damit abgemildert wird. Zudem tritt durch das turbulente
Aneinanderreiben der Luftpakete bei diesen intensiven
Vertikalbewegungen Turbulenz auf. Turbulenz bedeutet Reibung und
Reibung heißt ebenso Verlust an Bewegungsenergie.

Das Schadenspotenzial durch Downbursts wird einerseits durch die
Fallwinde selbst erzeugt. Andererseits entsteht durch Verwirbelungen
am Boden (gerade bei dichter Bebauung) lokal ein Unterdruck, der z.B.
ganze Dächer abdecken kann. Zu guter Letzt erzeugt der Wind auch
einen Staudruck, der mitunter Bäume schneisenförmig umlegt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass am vergangenen Sonntag
(18.08.2019) in Kümmersbrück eine Böe von 154 km/h gemessen wurde.
Dort waren alle erwähnten Faktoren erfüllt, einschließlich der
trockenen bodennahen Schicht. Die Abwindgeschwindigkeit sowie die
dafür erforderliche Energie (den so genannten DCAPE oder auch
konvektiv verfügbare potentielle Energie, die in kinetische Energie
des Abwindes umgewandelt werden kann) kann man ziemlich genau
ermitteln, und zwar anhand von Berechnungsformeln und
Radiosondenaufstiegen, wobei man die dort dargestellte
Temperaturschichtung in der Atmosphäre zu Hilfe nimmt.

Für Kümmersbrück ergaben sich aus dem Radiosondenaufstieg berechnete
1225 J/kg für den DCAPE. Werte über etwa 1200 J/kg weisen oftmals
ein großes Schadenspotenzial auf. Zudem ergab sich aus dem DCAPE
berechnet eine rein energetische Abwindgeschwindigkeit von w=49,49
m/s.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.08.2019

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