Thema des Tages

31-08-2019 12:20

Na, Polarwirbel schon fit für den Winter?

Der folgende Beitrag wird in zwei Teilen (heute und am morgigen
Sonntag, den 01.09.19) erstellt und will der Frage nachgehen, welche
Faktoren die Stärke und Ausprägung des Polarwirbels in der
Stratosphäre beeinflussen und inwiefern zum jetzigen Zeitpunkt diese
Faktoren bereits diagnostiziert und auch prognostiziert werden
können.


Der Sommer 2019 liegt in den letzten Zügen und da drängt sich allen
Wetterinteressierten die Frage auf, was bekommen wir hier in
Mitteleuropa für einen Winter? Kann man jetzt überhaupt schon etwas
sagen und wenn ja, was und wie genau? Da schießt sofort die
Gegenfrage in den Kopf ? wird die vorhergesagte Tendenz genauer, wenn
der Winter näher heranrückt?

Also, mal der Reihe nach. Wenn der Polarwirbel in der Stratosphäre
(tiefer Luftdruck über dem Nordpol, der besonders im Winterhalbjahr
ausgeprägt ist) nicht so stark entwickelt oder sogar gesplittet ist,
würden wir hier in Mitteleuropa einen ordentlichen (also relativ
kalten) Winter bekommen. Dann nämlich wird die bei uns vorherrschende
westliche Höhenströmung gestört oder unterbrochen und es können sich
mehr blockierende Hochdruckgebiete z.B. über Skandinavien oder
Osteuropa etablieren, womit der Weg frei wird für polare Luftmassen.


Die Faktoren, die den Polarwirbel beeinflussen, sollen kurz
zusammengefasst werden. Prinzipiell ist der Polarwirbel in allen
Höhenschichten ab der oberen Troposphäre umso stärker ausgebildet, je
stärker die Temperaturgegensätze zwischen Süd und Nord sind. Die
Natur lehrt uns, dass die turbulente Durchmischung der effektivste
Weg ist, um Temperaturkontraste auszugleichen. Je stärker also die
Gegensätze, umso kräftiger die Verwirbelung.

Diese Temperaturkontraste entstehen einerseits durch den
unterschiedlichen Energieeintrag der Sonne, abhängig vom Breitengrad.
Andererseits speichern auch die Weltmeere einen Großteil der
erhaltenen Wärmeenergie und transportieren diese partiell auch von
Süd nach Nord. Zu guter Letzt wird diese Wärmeenergie in Form von
Temperaturwellen auch an die Atmosphäre abgegeben, die auch einen
gewissen Anteil horizontal und vor allem vertikal transportiert.
Dabei sorgen warme Meeres- und Luftströmungen in unseren Breiten für
hohen Luftdruck und kalte für tiefen Luftdruck. Der Polarwirbel liebt
also wie der Name schon sagt die Kälte und vor allem die Gegensätze.

Alle Faktoren, die im Weiteren aufgeführt werden, stehen in direktem
und recht komplexem Zusammenhang, sodass man nicht immer eindeutig
sagen kann, wo ist die Henne und wo das Ei.

Die Temperatur- bzw. Druckgegensätze zwischen Süd und Nord werden für
Mitteleuropa durch den Index der Nordatlantischen Oszillation (NAO)
ausgedrückt. Dieser Index stellt den Druckunterschied zwischen
Lissabon (Stichwort Azorenhoch) und Reykjavik (Stichwort Islandtief)
dar. Eine Vorhersage vom jetzigen Zeitpunkt zu treffen, ist nicht
möglich, da der NAO-Index direkt abhängig ist von der jeweiligen
Druckverteilung über dem Atlantik, die wir noch nicht berechnen
können.

Momentan ist der NAO-Index allerdings negativ, d.h. die
Luftdruckgegensätze sind schwächer ausgeprägt oder kehren sich sogar
um (was den derzeit positiven Anomalien der
Meeresoberflächentemperaturen im Nord- und Ostatlantik geschuldet
ist).

Bezüglich der Meeresströmungen und Anomalien der
Meeresoberflächentemperaturen drängt sich die jeweilige Phase der EL
Nino und Southern Oszillation (kurz ENSO, im Wesentlichen im West-
und Ostpazifik) auf, über die ja ein Energieeintrag direkt über den
äquatorialen Anteil des Atlantik und indirekt über die globale
Zirkulation bis in die Stratosphäre erfolgt (Stichwort
Temperaturwellen) und damit bei der derzeitigen EL Nino-Phase oder
auch Warmphase für eine Stärkung des Polarwirbels sorgt. ENSO geht im
Herbst und voraussichtlich auch im Winter 2019/2020 in eine neutrale
Phase über, es gibt aber auch Berechnungen, die den Übergang in eine
Kaltphase, der so genannten La Nina prognostizieren. Dann würden die
Temperaturgegensätze zwischen Süd und Nord geschwächt und
blockierende Hochdruckgebiete könnten die westliche Strömung
unterbrechen.

Ein letzter wichtiger Faktor soll im ersten Teil behandelt werden,
die Quasi-Biennale-Oszillation (QBO) in der äquatorialen
Stratosphäre, die ungefähr eine Periodizität von 2 Jahren aufweist.
Während dieser Oszillation wechselt in der mittleren und oberen
Stratosphäre nahe des Äquators die Windrichtung. Bei positiver Phase
überwiegen westliche Winde, bei negativer entsprechend östliche
Winde. Die QBO korreliert ganz gut (aber nicht immer) mit der
entsprechenden ENSO-Phase. Derzeit herrscht eine positive QBO (wie
auch EL Nino) vor, die im Winter aber auch negativ werden kann
(Prognose). Eine positive QBO stärkt den Polarwirbel und sorgt damit
oft für westliche Winde in der oberen Troposphäre sowie in der
Stratosphäre der Nordhemisphäre. Die gegenseitigen Wechselwirkungen
mit allen genannten Oszillationen und sogar mit der variablen
Sonnenaktivität sind allerdings deutlich komplexer und noch nicht
hinreichend erforscht.

Nochmal zurück zu den eingangs gestellten Fragen: Tendenzen
großräumiger Zirkulationen können mit ausreichender Genauigkeit als
Tendenz berechnet werden (ENSO, QBO). Die genaue Druckverteilung über
dem Atlantik (NAO) oder auch bestehende Anomalien der
Meeresoberflächentemperaturen können dagegen nur zeitnah
diagnostiziert werden. Sobald der Winter näher rückt, bekommen wir
auch ein genaueres Bild.

Auf der beigefügten Grafik ist die Anomalie des Luftdrucks als
Vertikalprofil (Stand November 2018) zu sehen. Dort sieht man recht
deutlich den einerseits gut ausgeprägten Polarwirbel in der
Stratosphäre (blau als negative Druckabweichung) und die positive
Druckabweichung in der Troposphäre (gelb bis rot), die mit der Zeit
allmählich abgebaut wird.

Ende 2018/Anfang 2019 stärkte sich die EL Nino-Phase gerade, etwas
versetzt auch die positive QBO-Phase mit vorherrschenden westlichen
Winden in der Stratosphäre.

Im zweiten Teil werden noch Faktoren beleuchtet, die einen eher
geringen oder besser gesagt sekundären Einfluss auf den Polarwirbel
haben wie Sonnenaktivität, Schneemenge in Sibirien zum Ende des
Herbstes oder auch die Arktische Oszillation (AO), die Teil der NAO
ist. Aber, die Gleichgewichte in der Natur sind gut austariert und so
können kleine Auslenkungen durchaus Rückkopplungen auf das
Gesamtsystem haben.

Und wir wagen dann noch eine Tendenz für den kommenden Winter.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 31.08.2019

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