Thema des Tages

01-09-2019 10:20

Na Polarwirbel, schon fit für den Winter? Teil 2

Der folgende zweite Teil des Beitrags geht der Frage nach, welche
anderen Faktoren noch die Stärke und Ausprägung des Polarwirbels in
der Stratosphäre beeinflussen und inwiefern zum jetzigen Zeitpunkt
diese Faktoren bereits diagnostiziert und auch prognostiziert werden
können.


Im heutigen zweiten Teil des Beitrags werden Faktoren näher
betrachtet, die einen eher sekundären Einfluss auf den Polarwirbel
haben wie die variable Sonnenaktivität, die angehäufte Schneemenge in
Sibirien zum Ende des Herbstes oder auch die Arktische Oszillation
(AO), die allerdings eng mit der Nordatlantischen Oszillation (NAO)
verknüpft ist.
Und zu guter Letzt wagen wir dann noch eine Tendenz für den kommenden
Winter.

Nun gut, fangen wir mit der Arktischen Oszillation (AO) an. Gemessen
wird diese Oszillation mit dem AO-Index. Er beschreibt drei Zentren:
Hochdruck bei den Aleuten, Tiefdruck bei Island und Hochdruck über
der Biskaya. Ersteres ist die Nordkomponente des Nordpazifiks,
zweiteres die Atlantikkomponente des Polarwirbels, und dritteres die
Nordostkomponente des Azorenhochs, drei permanenten Grundcharakteren
des Klimasystems. Dabei wird das langjährige Monatsmittel der
1000-hPa-Druckabweichung ab 20° nördlicher Breite bis zum Nordpol
gebildet. Positiv fällt diese aus, wenn nach Süden hin höherer
Luftdruck als zum Nordpol hin herrscht. Negativ ist sie, wenn die
Druckunterschiede schwach ausgeprägt oder umgekehrt sind. Ein
positiver AO-Index spricht im Mittel für eine westliche
Grundströmung. In den meisten Fällen sind die Vorzeichen von NAO und
AO gleich. Es gibt natürlich auch Fälle, wo die Arktische Zirkulation
von der Nordatlantischen abgekoppelt ist, z.B., wenn sich die
Tiefdruckaktivität deutlich weiter nördlich als normal abspielt. Dann
hätten wir zwar mitunter einen positiven AO-Index, aber einen eher
neutralen NAO-Index. Das würde allerdings für einen schwächer
ausgeprägten Polarwirbel mit regional unterschiedlichen Folgen
sprechen.

Häufig wird vom Schnee in Sibirien zum Ende des Herbstes als
wichtigen Faktor für einen kalten Winter in Mitteleuropa gesprochen.
Ja und Nein lautet die Antwort. Fakt ist, wenn zu Beginn des Winters
ausreichend Schnee auch bis nach Westsibirien liegt, dann bildet sich
ein starker Kältepol mit einem zumindest am Boden stark ausgeprägten
und stabilen Hochdruckgebiet. Dann könnte bei entsprechender
Druckverteilung eine nordöstliche bis östliche Strömung kalte
Luftmassen nach Mitteleuropa führen, und das über einige Wochen
hinweg. Allerdings müssen solche Druckkonstellationen erstmal
zustande kommen. Das wird bei vorherrschender westlicher
Höhenströmung und einem normal ausgeprägten Polarwirbel schwierig zu
realisieren sein, höchstens mal vorübergehend.

Jetzt folgt noch ein heikler, weil umstrittener Faktor. Es geht um
die Sonnenaktivität, die periodischen Schwankungen unterliegt
(Schwabe-Zyklus ca. 11 Jahre, Anzahl der Sonnenflecken). Momentan
befinden wir uns im solaren Minimum, d.h. dass die auf der Erde
(bzw.in der Atmosphäre) eintreffende Strahlung (und damit
Wärmeenergie) etwas geringer ausfällt (Abstrahlung der Sonne im
Mittel um etwa 1 bis 1,5 W/qm geringer). Physikalisch ist das
richtig, aber die Atmosphäre und hier speziell die Stratosphäre dient
wie bereits mehrmals beschrieben als ausgleichender Puffer gegen
Extreme in beide Richtungen. Solche Temperaturdifferenzen durch
geringeren Wärmeeintrag werden dann durch Wellen und Schwingungen
ausgeglichen, was dann z.B. als Wind messbar ist. Das liefert ggf.
eine mögliche Erklärung für einen Teil der QBO-Zirkulation (siehe
1.Teil des Beitrags vom 31.08.2019). Nichtdestotrotz kann auch dieser
(kleine) und indirekte Faktor das Zünglein an der Waage spielen,
gerade wenn alle anderen Faktoren eine Pattsituation ergeben.

Soweit, so gut. Und was bekommen wir jetzt für einen Winter?

Wenn man streng wissenschaftlich an die Fragestellung herangeht,
müsste man sagen: wir können es nicht vorhersagen, da die
Zusammenhänge nicht nur sehr komplex, sondern auch ziemlich
verstrickt untereinander sind, wo selbst Analysen im Nachhinein nie
100% eindeutig sind.

Gut, wir haben eine Prognose bzw. Tendenz versprochen, deshalb kurz
zusammengefasst die wichtigsten Punkte mit anschließender
Schlussfolgerung:

Sowohl ENSO als auch QBO scheinen Ende 2019/ Anfang 2020 neutral zu
sein, mit der Tendenz, im Verlauf sogar leicht negativ zu werden;

Die positiven Anomalien der Meeresoberflächentemperaturen im Atlantik
werden definitiv vor allem zu Beginn des Winters noch signifikant
sein und damit Einfluss ausüben auf die großräumige Druckverteilung,
z.B. in Form der Abschwächung von Tiefdruckgebieten oder aber
Blockierungen über dem Atlantik durch Etablierung von
Hochdruckgebieten an bestimmten Stellen (Stichwort positive
Temperaturwellen vom Meer aus).

Diese Faktoren und Indikatoren deuten auf einen schwächer als normal
ausgeprägten Polarwirbel hin. Damit einher könnten häufigere
Blockierungen durch Hochdruckgebiete z.B. über dem Ost-Atlantik oder
Skandinavien gehen. Das könnte mitunter längere kalte, aber auch
teils recht trockene Phasen bedeuten, da die Tiefdruckaktivität
aufgrund oben genannter Faktoren allgemein geschwächt wird. Insgesamt
sollte aber das Temperaturniveau nur zeitweise unter den Normalwerten
liegen. Bezüglich des Niederschlags deutet sich ein erneutes Defizit
an.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 01.09.2019

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst