Thema des Tages

06-09-2019 09:20

Leise rieselt der Mikroplastik-Schnee


Wissenschaftler haben im Schnee der Arktis unerwartet hohe Mengen an
Mikroplastik nachgewiesen. Das erstaunliche daran ist vor allem der
Transportweg: Das Mikroplastik wird mit dem Wind dorthin verfrachtet
und mit Schneefall aus der Luft ausgewaschen.


Mikroplastik erlangte in letzter Zeit immer wieder mediales
Interesse: Die kleinen Plastikteilchen (als Mikroplastik werden
Plastikteilchen mit einem Durchmesser von 5 mm und kleiner
bezeichnet) wurden in Meer- und Trinkwasser nachgewiesen, in
Kosmetika und in Tieren. Vor einigen Jahren wurde Mikroplastik auch
im Eis der Arktis gefunden. Bisher ging man davon aus, dass es
hauptsächlich über den Wasserweg dorthin gelangt. Nun haben
Wissenschaftler des AWI (Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven) und
des SLF (Schnee und Lawinen Forschungszentrum, Davos) jedoch
herausgefunden, dass der Transport vor allem durch die Luft erfolgt:
Winde tragen die aufgewirbelten kleinen Partikel in die Höhe und
transportieren sie dann über weite Strecken. Wenn es schneit, rieseln
die Plastikteilchen mit dem Schnee wieder auf den Boden.
Ein Überblick über die neue Studie:


Was wurde in der Studie untersucht?

Für die Studie wurden Schneeproben aus den Schweizer Alpen, aus
Bayern, Bremen, Helgoland und der Arktis genommen und untersucht,
wieviel Mikroplastik jeweils darin enthalten ist. Dazu wurde der
Schnee geschmolzen und mittels Infrarotspektroskopie untersucht:
Dabei wird das Schmelzwasser durch einen Filter gegossen und die
Rückstände im Mikroskop mit Infrarotlicht bestrahlt. Je nach
Plastiksorte werden unterschiedliche Wellenlängen absorbiert und
reflektiert, sodass sich ein "optischer Fingerabdruck" ergibt, der
die Art des Kunststoffs verrät.


Was waren die Ergebnisse?

An allen Orten wies der Schnee hohe Konzentrationen an Mikroplastik
auf ? selbst in den entlegenen arktischen Gebieten, wie der Insel
Spitzbergen und auf treibenden Eisschollen. So wurden auf einer
Eisscholle zwischen Spitzbergen und Grönland z.B. rund 14.000
Plastikpartikel in nur einem Liter geschmolzenen Schnee gemessen, an
einer Landstraße in Bayern sogar 10-mal so viel: Je näher an dicht
besiedelten und industrialisierten Gebieten, desto mehr Mikroplastik
fand sich im Schnee. Dabei handelte es sich um alle möglichen
Plastiksorten: In der Arktis wurde vor allem Nitrilkautschuk,
Acrylate und Lackteilchen gefunden. Das robuste Nitrilkautschuk wird
z.B. häufig in Dichtungen und Schläuchen verwendet. Kunststoffhaltige
Lacke finden in vielen Bereichen Anwendung, z.B. in den Oberflächen
von Gebäuden, Schiffen und Autos. An der bayerischen Landstraße
enthielten die Proben vor allem Kautschuk, der in Reifen oder
Schuhsohlen vorkommt. Aber auch Polyamid, das oft für Kleidung und
Textilien verwendet wird, hinterließ seine Spuren im Schnee.


Was ist das Besondere an den Ergebnissen?

1. Die gemessenen Konzentrationen haben die Forscher überrascht, sind
sie doch deutlich höher als in vorigen Studien, die z.B.
Staubablagerungen nach Plastikpartikeln untersuchten. Denn auch Staub
(z.B. Wüstensand aus der Sahara) wird mit dem Wind über weite
Entfernungen transportiert und nimmt dabei Plastik mit. Nun fand man
aber heraus, dass Schnee das Mikroplastik noch deutlich effizienter
aus der Atmosphäre wäscht als Staub. Diesen Vorgang nennt man
"scavenging": Während des Weges durch die Atmosphäre binden
Regentropfen und Schneeflocken Partikel und Schadstoffe aus der Luft,
die dann auf der Erdoberfläche abgelagert werden. Die hohen
Mikroplastik-Konzentrationen in den Schneeproben (deutlich höher als
im Staub) zeigen, dass "scavenging" ein wichtiger Transportweg für
Mikroplastik ist.

(Anmerkung: Ein weiterer Grund für die höheren Konzentrationen als
bisher lag sicher auch an der Messmethodik: Während in früheren
Studien die Wissenschaftler das Mikroplastik unter dem Mikroskop
teils mit der Hand aus den Proben herausgelesen haben, wo leicht
Partikel übersehen werden können, geht mittels der
Infrarotspektroskopie kaum ein Plastikteilchen "durch die Lappen".
Denn damit können wesentlich kleinere Teilchen (bis zu 11 Mikrometer)
erfasst werden.)

2. Die Verbreitung von Plastik über die Atmosphäre fand bisher -
anders als das Plastik in den Weltmeeren - wenig Beachtung. Es gibt
dabei einen großen Unterschied: Das Plastik in den Ozeanen stammt
einer Nature-Studie von 2017 zufolge zum größten Teil aus
verschmutzen Flüssen in Asien, insbesondere China. Der Eintrag aus
Europa spielt dabei nur eine geringe Rolle. Beim
mikroplastik-haltigen Schnee scheint es anders zu sein - zumindest,
was die Proben im Nordpolarmeer betrifft. Diese scheinen durchaus aus
Europa zu kommen. Das folgern die Forscher aufgrund des Vergleichs
mit dem Transport von Pflanzenpollen. Mikroplastikteilchen haben eine
ähnliche Größe wie Pollenkörner, und bei diesen konnte bereits
nachgewiesen werden, dass sie in 3 km Höhe in nur 5 Tagen aus den
mittleren Breiten in die Arktis transportiert werden.


Gibt es direkte Auswirkungen auf den Menschen?

Die Studie wirft neue Fragen auf, die auch uns Menschen direkt
betreffen: Es war zwar bereits bekannt, dass wir Mikroplastik über
die Nahrung aufnehmen (laut einer WWF-Studie bis zu 5 Gramm pro
Woche), aber nun kommt noch der Luftweg hinzu. Atmen wir also
Mikroplastik ein - ähnlich wie Feinstaub? Von dem weiß man, dass er
Lungen-, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen begünstigt.


Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.09.2019

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