Thema des Tages

08-07-2016 14:40

Heute vor 89 Jahren

1927 war ein wahrlich ereignisreiches Jahr: Günter Grass und Benedikt
XVI erblicken das Licht der Welt, Charles Lindbergh wird in Paris von
Menschenmassen bejubelt, nachdem ihm der erste
Nonstop-Transatlantikflug im Alleingang geglückt ist, die
Urknall-These wird vorgestellt, der Deutsche Reichstag beschließt die
Einführung des Arbeitslosengeldes und "last, but not least" wird der
"Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften" gegründet, den
Supermarktkunden wohl besser bekannt als REWE.

Genau heute vor 89 Jahren, also am 8.7.1927 ereignet sich hingegen
ein überhaupt nicht feier-, aber denkwürdiges Geschehnis im
Osterzgebirge: Damals startet der Tag ruhig, neben ein paar harmlosen
Wölkchen strahlt die Sonne vom Himmel. Doch schon bald werden die
Wolken mächtiger und gegen Mittag grummelt es am Himmel. Von da an
nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Heftige Gewitter mit extrem starken
Niederschlägen ziehen aus Böhmen über den Erzgebirgskamm heran und
verursachen innerhalb kürzester Zeit ein rasantes Ansteigen der
Flusspegel. Die Gottleuba (Nebenfluss der Elbe) verbreitert sich von
ihren sonst üblichen drei Metern auf etwa 100 Meter. Auch die
Müglitz, normalerweise ebenfalls ein ruhiges Flüsschen, wird zum
reißenden Strom (mit einem Abfluss von 330 m³/s statt den üblichen 40
m³/s). Wolkenbrüche sorgen in weniger als einer halben Stunde für 113
Liter Regen pro Quadratmeter, innerhalb weniger Stunden fallen 226
l/qm. Weitere Daten sind nicht bekannt, da mehrere Messstationen den
Regenmassen zum Opfer fielen. Wer die Hoffnung hatte, dass sich die
Unwetter nachts abschwächen würden, hatte weit gefehlt: Sie setzten
sich regelrecht am Erzgebirge fest und hielten bis zum nächsten Tag
an.

Die traurige Bilanz: Etwa 160 Tote, Schäden über 100 Mio. Reichsmark
(ca. 330 Mio. Euro) und Verluste, die sich wohl nicht in Zahlen
ausdrucken lassen... Da stellt sich zurecht die Frage: Wie kann es zu
solchen extremen Wetterereignissen kommen und warum ist häufig
Sachsen vom Hochwasser betroffen?

Beim Hochwasser vom 8.7.1927 lag ein Tiefdruckgebiet über
Mitteleuropa, das beständig feuchte Mittelmeerluft nach Deutschland
geführt hat und das (ähnlich wie Ende Mai/Anfang Juni diesen Jahres)
zu den schweren Unwettern und Überflutungen führte. Aber auch eine
andere Wetterlage ist zu solchen Wetterkatastrophen in der Lage
(Jahrhunderthochwasser 2002): Die sogenannte Vb (sprich: "fünf
b")-Wetterlage. Dabei bildet sich im Golf von Genua ein
Tiefdruckgebiet, wenn kalte Luftmassen über Westeuropa in den warmen
Mittelmeerraum vordringen. Dieses Tief wird dann unter Intensivierung
mit der Höhenströmung über Oberitalien hinweg in einem Bogen um die
Alpenostseite herum weiter nach Norden in Richtung Tschechien und
Polen geführt.

Auf der Vorderseite des Vb-Tiefs wird warme und feuchte
Mittelmeerluft angesaugt und um das Tief herum geführt. Diese
Mittelmeerluft gleitet dann auf die kalte Polarluft auf der
Tiefrückseite auf. An der Grenze dieser beiden Luftmassen kommt es
oft zur Bildung stärkerer Niederschläge. Da Sachsen bei dieser
Wetterlage meist an die Westflanke des Tiefs gerät, werden die
Luftmassen von Norden gegen das Erzgebirge gedrückt. Dieser
"Staueffekt" und die abnehmende Zuggeschwindigkeit bis zur
Stationarität des Tiefs führen dann dort oft zu langanhaltenden,
kräftigen Regenfällen.

Glücklicherweise bestimmt am diesjährigen 8. Juli eine
West-Wetterlage unser Wetter, sodass der heutige Tag wohl nicht in
die "Wetter-Annalen" eingehen wird.

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.07.2016

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