Thema des Tages

03-10-2019 09:50

Der Quantensprung des Lorenzo


Die Zugbahn des ehemaligen Hurrikans Lorenzo ist in mehrfacher
Hinsicht erstaunlich. Darüber wurde bereits im Thema des Tages vom
01.10.2019 berichtet. Jetzt setzt Lorenzo aber noch einen drauf und
überspringt ein Gebiet hohen Luftdrucks, wo sonst die
Tiefdruckgebiete lieber abbiegen.


Der ehemalige Hurrikan Lorenzo hat mittlerweile kühlere Bereiche des
Atlantiks nahe der Britischen Inseln erreicht. Aus diesem Grund und
wegen der Nähe zur Frontalzone (siehe Wetterlexikon) mit starken
Winden in der Höhe, die die homogene Struktur von Wirbelstürmen
zerstören ist dieser nun zu einem starken außertropischen Tief
mutiert. Nichtsdestotrotz kann aber zunächst immer noch Wind in
Orkanstärke von rund 120 km/h und ein Wellengang bis knapp 10 m heute
im Tagesverlauf vor der Irischen Küste auftreten.

Gestern lag Lorenzo noch als Hurrikan knapp nördlich der Azoren und
zog dann mit einer für tropische Stürme recht hohen Geschwindigkeit
von rund 70 km/h nord- bis nordostwärts.

Wie geht es nun weiter mit Lorenzo? Das kräftige Tief setzt sich bis
heute Abend (03.10.19) vor Irland fest, da eine weitere Verlagerung
wahrscheinlich zunächst weder nach Norden noch nach Osten möglich
ist. Da liegt nämlich eine ausgeprägte Zone hohen Luftdrucks, sowohl
am Boden als auch in der Höhe. Diese verläuft von Grönland über die
Britischen Inseln bis zu den Kanarischen Inseln. Bis dato hatte sich
Lorenzo nämlich recht clever westlich des Höhenrückens (hoher
Luftdruck in der mittleren und oberen Troposphäre) nord- bis
nordostwärts gehangelt und die dort zur Verfügung stehende warme Luft
noch als Energiespender genutzt. Normalerweise würde Lorenzo nun in
der westlichen Grundströmung ostwärts ziehen. Jetzt ist er allerdings
in eine Sackgasse geraten und viele Optionen bleiben ihm nicht mehr ?
am Boden und in ca. 5,5 km Höhe herrscht nach Norden, anfangs auch
nach Osten (Großbritannien) und Süden hoher Luftdruck, nach Nordosten
und Westen aber tiefer Luftdruck. In der Meteorologie nennt man so
eine Druckkonstellation Viererdruckfeld. Typisch für derartige
synoptische Felder sind starke Deformationen zwischen den
Druckgebieten und damit wechselnde Strömungsverhältnisse.

Diese können in den numerischen Modellvorhersagen nicht ausreichend
berücksichtigt werden, da dort vereinfachende Annahmen getroffen
werden. Daher gingen die Modellvorhersagen in den letzten Tagen stark
auseinander bzw. änderten sich quasi mit jeder neuen Berechnung. So
gingen z.B. frühere Berechnungen noch davon aus, dass sich Lorenzo
entlang eines Tiefdruckkomplexes nordwestwärts in Richtung Island
bewegen könnte. Diese Option wird aber aufgrund der oben genannten
Tatsachen nicht funktionieren, auch deshalb nicht, weil bereits ein
neues Tief unserem Lorenzo im Nacken sitzt und die Pole-Position mit
genannter Zugbahn nahe dieses Tiefdruckkomplexes einnehmen wird.

Gleichzeitig drückt die Frontalzone von Westen kräftig nach und
drängt Lorenzo mehr und mehr nach Osten. Damit muss dieser über die
Klippe, also über die Zone hohen Luftdrucks springen. Lorenzos
Passage durch diesen Bereich relativ hohen Luftdrucks am Boden und in
der Höhe bewirkt im Endeffekt seine entscheidende Abschwächung. Mehr
noch, für Lorenzo ist dieser Quantensprung mehr oder weniger fatal,
da von ihm im Nachhinein nicht mehr viel übrig bleibt außer ein ganz
normales atlantisches Tiefdruckgebiet. Es sieht sogar so aus, als ob
Lorenzo irgendwo vor dem Walisischen bzw. Englischen Bergland kurz
komplett verschwindet, um dann dahinter als Leetief am Boden (siehe
Wetterlexikon) erneut aufzutauchen. In der mittleren und oberen
Troposphäre ist Lorenzo dagegen kaum noch auszumachen.

Dann bewegt er sich am Freitag, den 04.10.2019 gemächlich auf
Mitteleuropa zu und ist weniger als ein Schatten seiner selbst. Das
triff vor allem auf den Wind zu, den ihm der oben beschriebene
Höhenrücken aus den Segeln nimmt. Durch diesen Bereich hohen
Luftdrucks schwächen sich die Druckgegensätze insofern ab, als dass
der Druck bei Lorenzo (am Boden und in der Höhe) stetig ansteigt und
damit auch der Wind in der Folge deutlich abnimmt.


Dr. rer. nat. Jens Boenwitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 03.10.2019

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