Thema des Tages

06-10-2019 09:20

Eine Frage der Perspektive

Crepuscular rays? Machen Sie sich beim Aussprechen dieses englischen
Wortes auch fast einen Knoten in die Zunge? Um welches Phänomen es
sich handelt, lesen Sie heute im Thema des Tages.

Bestimmt haben Sie sogenannte "crepuscular rays" auch schon mal
gesehen?! Aus dem Englischen werden sie mit Strahlenbüschel oder -
gemäß der Tageszeit, in der sie üblicherweise zu sehen sind - mit
Dämmerungsstrahlen übersetzt (crepuscular = dämmrig, rays =
Strahlen). Es handelt sich um ein optisches Phänomen, das beobachtet
werden kann, wenn Sonnenlicht (oder Mondlicht) durch Wolken oder
Berge blockiert wird. Dämmerungsstrahlen sind parallel ausgerichtete
Licht"säulen", die von dunkleren "Säulen" getrennt sind. Die
dunkleren Partien erscheinen aufgrund des Schattens der Wolken oder
Berge, die sich am oder unter dem Horizont befinden. Allerdings
entstehen die Strahlen nicht allein durch die Abschattung. Das Licht
muss zudem durch Staub in der Luft, Aerosole, Wassertropfen oder
Luftmoleküle gestreut werden, um einen sichtbaren Kontrast zwischen
abgeschatteten und beleuchteten Partien des Himmels zu erzielen. So
sind "crepuscular rays" am ehesten zu Sonnenaufgang oder -untergang
sichtbar. Ebenso sind Strahlenbüschel häufig am frühen Morgen bei
Dunst im Wald zu sehen, wenn die tiefstehende Sonne durch die Bäume
bricht.

Die Strahlen scheinen am Horizont zu konvergieren, also in einem
Punkt (Lichtquelle) zusammen zu laufen, und über dem Betrachter zu
divergieren (auseinander zu laufen). Dieser Effekt ist allerdings auf
die Entfernung und die Perspektive zurückzuführen. Wie oben bereits
beschrieben sind Dämmerungsstrahlen parallel zueinander. So können
sie aus physikalischer Sicht weder konvergieren, noch divergieren,
sondern haben immer denselben Abstand zueinander.

Wieso sehen wir dann diese Illusion? Der Effekt ist derselbe wie bei
Bahnschienen oder Straßen, bei denen die Ränder in der Entfernung
zusammen zu laufen scheinen. Physikalisch lässt sich dies mit dem
sogenannten "Sehwinkel" erklären. Denn je weiter weg etwas ist, desto
kleiner sieht es aus. Der Sehwinkel verringert sich also mit
zunehmender Entfernung.

Wenn Sie sich bei "crepuscular rays" schon einen Knoten in die Zunge
gemacht haben, versuchen Sie es doch nochmal mit "anticrepuscular
rays"! Diese "Anti-Dämmerungsstrahlen" können Sie mitunter sehen,
wenn Sie in dem Moment, wenn Sie Dämmerungsstrahlen sehen, der Sonne
den Rücken zuwenden und in entgegengesetzter Richtung zum Horizont
blicken. Bei "anticrepuscular rays" handelt es sich nämlich um jene
Strahlen, die vom Gegenpunkt der Sonne auszugehen scheinen. Diese
Strahlen entstehen aufgrund der Rückstreuung des Lichts. Es sind jene
Dämmerungsstrahlen, die scheinbar von der Sonne ausgehen, über dem
Beobachter über den kompletten Himmel laufen und dann scheinbar im
Sonnengegenpunkt münden. Da die Rückstreuung des Lichts geringer ist
als die Vorwärtsstreuung, sind Gegendämmerungsstrahlen dunkler als
ihre vorwärtsgestreuten Verwandten.

Die dem Thema des Tages angehängten Fotos zeigen Dämmerungsstrahlen
gesehen auf Phuket, Thailand und über Frankfurt am Main, Deutschland.
Das untere Foto wurde von der DWD-Webcam auf der Zentrale des
Deutschen Wetterdienstes in Offenbach aufgenommen. Machen Sie sich
keinen Knoten in die Zunge, wenn Sie das nächste Mal diese Strahlen
bei Sonnenaufgang oder -untergang entdecken!

Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.10.2019

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