Thema des Tages

23-11-2019 08:50

Die hydraulische Föhntheorie: Ein moderner(er) Ansatz

Föhnsturm herrscht derzeit in den Alpen! Die altbekannte
Schulbuchtheorie lässt einen bei der Beschreibung von Föhn im
Allgemeinen schnell im Stich. Aufschluss bietet eine andere
Föhntheorie.

Im Thema des Tages vom vergangenen Mittwoch (20.11.2019, siehe
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/11/20.html) wurde
die klassische Föhntheorie vorgestellt. Kurz zusammengefasst geht es
bei ihr darum, dass Luft senkrecht auf ein Gebirge trifft, zum
Aufstiegen gezwungen wird und dabei mit 1 K pro 100 m abkühlt.
Irgendwann bilden sich Wolken und es beginnt zu regnen, wobei die
Luft nun nur noch mit 0,65 K pro 100 m Aufstieg abkühlt. Am Gipfel
angekommen, strömt sie auf der Leeseite (der windabgewandten Seite
des Gebirges) herab und erwärmt sich dabei, wodurch es zur
Wolkenauflösung kommt. Die Erwärmung beim "Abstieg" erfolgt nun mit 1
K pro 100 m.

Eigentlich ja recht simpel. Nun gibt es allerdings Statistiken, die
zeigen, dass beispielsweise in Innsbruck mindestens 50 % der dort in
einer Studie untersuchten Föhnfälle ohne Niederschläge einhergingen,
zu einem geringen Teil kam es sogar nicht einmal zur Wolkenbildung.
Da das der klassischen Föhntheorie widerspricht, wurden neue Theorien
entwickelt.

Dazu zählt die sogenannte hydraulische Föhn-Theorie. Bei ihr geht man
davon aus, dass die Luft, die auf ein Gebirge trifft, nicht
aufsteigt, sondern geblockt wird und im Luv (also auf der
windzugewandten Seite des Gebirges) liegen bleibt und langsam
auskühlt. Die im bzw. oberhalb des Bergkammniveaus heranströmende,
deutlich trockenere Luft fällt dagegen nach Überquerung des
Gebirgskamms ins Tal ab und erwärmt sich dabei um 1 K pro 100 m. Das
kann man sich vorstellen wie in einem randvollen Stausee, bei dem nur
die oberste Wasserschicht über die Staumauer in die Tiefe schwappt.

Stellt sich noch die Frage, wie es zu den mitunter hohen
Windgeschwindigkeiten auf der Leeseite eines Gebirges kommt.
Betrachten wir daher einfach mal ein Luftpaket, das gerade über dem
Gipfel angekommen ist. Dieses Paket besitzt eine gewisse Energie, die
sich hauptsächlich aus seiner Lage- und seiner Bewegungsenergie
zusammensetzt. Die Lageenergie hängt dabei von der Höhe (also der
vertikalen Lage) des Pakets ab und die Bewegungsenergie stark von
dessen Geschwindigkeit. Strömt das Paket nun den Berg hinab, nimmt
seine Höhe und damit auch seine Lageenergie ab. Da seine
Gesamtenergie aber gleichbleiben muss (Stichwort Energieerhaltung),
muss im Umkehrschluss seine Bewegungsenergie zunehmen und damit seine
Geschwindigkeit.

Verstärkt werden kann dieser Effekt u.a. noch durch das dortige
Gelände. Muss unser Luftpaket unterwegs noch einen engen Gebirgspass
durchströmen, entsteht eine Art Düseneffekt (Stichwort
Venturi-Effekt) und es kann vorübergehend noch einmal deutlich mehr
Gas geben. Zusätzliche Fahrt aufnehmen kann das Luftpaket außerdem
auch dann, wenn es beispielsweise aus einer engen Schlucht hinaus in
ein weites Tal schießt. Es möchte nämlich dann gerne den neu
gewonnenen Platz nutzen und weitet sich daher aus. In der Folge büßt
es aber auch an Höhe ein, wodurch seine Lageenergie abnimmt uuuuund,
genau, seine Bewegungsenergie und somit seine Geschwindigkeit steigt.


Diese Beschreibung wurde an dieser Stelle natürlich nur sehr grob
gehalten. Deutlich detailliertere Informationen zu dieser und
weiteren Föhn-Theorien finden Sie in unserem Wetterlexikon unter
www.dwd.de/lexikon, Stichwort "Föhn".

Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.11.2019

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