Thema des Tages

30-12-2019 11:50

Und sie fliegen wieder...

Über Kuriositäten der Vierschanzentournee und warum das Wetter dabei
eine entscheidende Rolle spielt, erfahren Sie im heutigen Thema des
Tages.

Anfahrtshocke-Absprung-Flug-Telemarklandung. Begleitet von der
tosenden Menge und einem langgestreckten "Ziiiieeeeh!" springen die
Athleten wie üblich zur Jahreswende im Rahmen der Vierschanzentournee
um Platzierungen und Medaillen. Für viele Skisprungfans ist es das
Highlight des Jahres.

Dieser prestigeträchtige Wettbewerb wird offiziell seit 1953 in
Deutschland und Österreich ausgetragen. Austragungsorte sind:

28./29.12. Auftaktspringen in Oberstdorf (Schattenbergschanze)

31.12./01.01. Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen (Große
Olympiaschanze)

03./04.01. Bergiselspringen in Innsbruck (Bergiselschanze)

05./06.01. Dreikönigsspringen in Bischofshofen
(Paul-Außerleitner-Schanze)

Da die erste Tour im Winter 1952/53 stattfand, kommt es aktuell zur
68. Auflage des Skisprung-Weltcup-Events. Die Anfänge der
Vierschanzentournee gehen bis ins Jahr 1921/22 zurück; seitdem gibt
es bereits das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen. Der
damalige Sieger - der Norweger Jakob Vaage - sprang 76 Meter weit.
Derzeit liegt der Schanzenrekord bei 143,5 m (fast doppelt so weit!)
- erreicht vom Schweizer Simon Ammann im Jahr 2010. Ein Beleg, wie
ausgereift die Athletik, Sprungtechnik und vor allem das Material der
Springer inzwischen sind.
Unvergessen aus deutscher Sicht sind die Erfolge eines Jens Weißflog
in den 80er und 90er Jahren, der mit 4 Gesamtsiegen (bei 10
Einzelsiegen) noch immer erfolgreichster deutscher Springer aller
Zeiten ist. Nur der Finne Janne Ahonen kann einen Gesamtsieg mehr für
sich verbuchen. Martin Schmitt und Sven Hannawald sorgten Ende der
90er Jahre für einen neuen deutschen Boom des Skispringens. Es war zu
dieser Zeit eine der populärsten Sportarten in Deutschland mit bis zu
15 Millionen Zuschauern vor den Fernsehgeräten in der Spitze.
Mittlerweile pendeln sich die Zahlen bei etwas über 5 Millionen ein.
Noch bildhaft vor Augen ist Hannawald's Triumph aus dem Jahr 2001/02,
bei dem zum ersten Mal in der Geschichte des Wettbewerbs der spätere
Sieger auch alle Einzelspringen für sich entscheiden konnte. Dieses
Kunststück wiederholten Kamil Stoch (Polen) und Ryoyu Kobayashi
(Japan) in den vergangenen beiden Jahren! Letzterer ist auch beim
gestrigen Auftaktspringen in Oberstdorf ganz oben auf dem Podest
gelandet und der große Turnierfavorit. Die deutschen Hoffnungen ruhen
in diesem Jahr vor allem auf Karl Geiger, der auf seiner Heimschanze
gleich mit dem zweiten Platz vollauf zu überzeugen wusste. Die
weiteren deutschen Springer sind: Markus Eisenbichler, Pius Paschke,
Stephan Leyhe, Constantin Schmid, Luca Roth, Moritz Baer, Philipp
Raimund und Martin Hamann.

Neben vielen politischen Hindernissen spielte in der Vergangenheit
auch das Wetter oft eine entscheidende Rolle. Als es noch keine
Maschinen für Kunstschnee gab, war im Falle einer milden Witterung
der Schneetransport von den entlegensten Orten oft eine
nervenaufreibende Tätigkeit für die Organisatoren. Wegen
Schneemangels wurde beispielsweise die 2. Tournee 1953/54 kurz vor
Beginn zunächst abgesagt, worüber die österreichische Mannschaft
nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Mit Eintreffen der Athleten setzte
passenderweise heftiger Schneefall ein und der Wettbewerb konnte
kurzerhand mithilfe der Unterstützung der Verbände und
Fluggesellschaften doch noch stattfinden. Nur 2 Jahre später gab es
erneut eine akute Schneearmut. Während Oberstdorf,
Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck die Kosten für die Schneezufuhr
aus Alpenhochtälern aufbringen konnten, musste das Springen in
Bischofshofen auf die Zinkenschanze in Hallein ausweichen. Die erste
"richtige" Absage ereilte die Teilnehmer bei der 56. Tournee 2007/08.
Wegen eines heftigen Föhnsturms (Sturmböen um 80 km/h) musste das
Springen in Innsbruck abgesagt werden. Es wurde dann am 05. Januar
2008 in Bischofshofen nachgeholt.

Apropos Wind: Dieser Parameter bereitet seit jeher große Probleme und
sorgt stets für eine Lotterie, da er sich binnen kürzester Zeit und
auf kleinstem Raum sehr schnell ändern kann. Bei Aufwinden wird der
Springer weiter getragen und erfährt einen Auftrieb. Kommt der
Springer dabei zu nahe an die Auslaufzone heran, wird in der Regel
der Anlauf verkürzt, um nicht die Gesundheit der Sportler zu
gefährden. Rückenwind bewirkt das Gegenteil und der Springer wird zu
Boden gedrückt. Seitenwind und große Böigkeit sind am gefährlichsten,
da die Athleten unter diesen Bedingungen während des Fluges nur
schwerlich die Balance halten können. Daher sind die Schanzen ähnlich
wie die Landebahnen an den Flughäfen von vornherein schon auf die
üblicherweise vorherrschenden Windrichtungen vor Ort ausgerichtet. Um
der windbedingten Chancenungleichheit gerechter zu begegnen, wurde
seit der Sommersaison 2009 erstmals der sogenannte Wind-Faktor für
die Ermittlung der Punktzahl eines Sprungs eingeführt. Die
Windverhältnisse werden an fünf verschiedenen Punkten an der Schanze
gemessen und daraus ein Mittelwert gebildet, der unmittelbar für den
Flug relevant ist. Dieser wird in Relation zur Gesamtlänge der
Schanze gesetzt und letztlich zu Sprungweite und Haltungsnoten
addiert. So erhält der Springer bei Rückenwind Bonus-Punkte und bei
Aufwind Punktabzug.

Kommen wir zum Abschluss noch zu den Wetterbedingungen für die
verbleibenden drei Springen der diesjährigen Tournee. Die
Schneesituation könnte sicherlich besser sein. In der Regel sind die
Pisten und Schanzen in den Tälern mit Altschnee oder Kunstschnee
präpariert. Nach dem sonnigen Auftakt am gestrigen Sonntag (29.12.)
verspricht auch das Neujahrsspringen sehr sonnig zu werden - Hoch
Wiltrud, das von Hoch Xia nahtlos abgelöst wird, sei Dank. Bei
Temperaturen um 8 Grad sieht man den ein oder anderen Fan auf der
Tribüne vielleicht sogar im lockeren Pulli. Da die Luft sehr trocken
ist (tiefe Taupunkte), sollte der Schnee nicht allzu "sulzig" werden,
aber gleichwohl schwinden. Für das Bergiselspringen in Innsbruck sind
die Aussichten schon etwas wechselhafter. Während der
Qualifikationstag am Freitag (03. Januar) noch mit einigen harmlosen
Wolkenfeldern trocken und ähnlich mild wie in Garmisch über die Bühne
geht, könnte es am Samstag (04. Januar) aus dichten Wolken schon mal
etwas Regen oder Schneeregen geben. Der Trend für Bischofshofen -
immerhin noch eine Woche im Voraus - lässt noch etwas Spielraum. Mit
nur wenig über 0 Grad wird es wohl mit ziemlicher Sicherheit der
kühlste Austragungsort auf der diesjährigen Tournee sein. Eventuell
rieseln sogar ein paar Flocken, wetterbedingte Einschränkungen für
den Ablauf des Wettbewerbs sind aber eher nicht zu erwarten.


Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.12.2019

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