Thema des Tages

05-01-2020 09:20

Lichtblicke in arktischer Finsternis

Seit Ende September ist das Forschungsschiff Polarstern in der Arktis
unterwegs. Die Wettervorhersagen vor Ort werden von den Meteorologen
und Wetterfunktechnikern des Deutschen Wetterdienstes erbracht. Lesen
Sie heute im Thema des Tages, wie schwierig es ist, in der Arktis in
völliger Dunkelheit Prognosen zu erstellen.

Festgefroren an einer Eisscholle driftet der Eisbrecher Polarstern
durch die Arktis (siehe Themen des Tages vom 21.09.2019 und die
dreiteilige Serie ab dem 17.12.2019). In der Bordwetterwarte sitzen
Meteorologen und Wetterfunktechniker, die die MOSAiC-Expedition
unterstützen. Sie sorgen dafür, dass der Kapitän, die Piloten und die
Wissenschaftler zu jeder Zeit eine möglichst präzise Wettervorhersage
erhalten. Jeden Abend wird eine kleine Wetterpräsentation
vorgetragen, in der die Aussichten für die kommenden drei Tage
erläutert werden. Die Wissenschaftler und die Mannschaft
interessieren sich hierbei vor allem für die Temperatur und
gleichfalls für den Windchill. Wer sich längere Zeit im Freien
aufhalten muss, ist vor Auskühlung und gar Erfrierungen nicht gefeit
(bspw. die Eisbärenwachen). Daher ist es umso wichtiger, schon vorab
zu wissen, wie niedrig die Temperatur sein wird und wie hoch die
Gefahr von Erfrierungen ist, wenn einem der eisige Wind
sprichwörtlich um die Ohren weht! Noch wichtiger für alle, die auf
dem Eis ihre Arbeiten ausführen, ist die Sichtweite. Ob es 3 oder 30
Kilometer sind, ist unerheblich. Im Scheinwerferlicht kann niemand
weiter als etwa 1000 Meter sehen. So müssen die Meteorologen eine
möglichst gute Vorhersage für Sichten unter 1000 Meter treffen.
Beträgt die Sichtweite weniger als 500 Meter ist bspw. ein
rechtzeitiges Sichten von Eisbären äußerst schwierig! Sagen die
Meteorologen solch schlechte Sichtweiten vorher, werden in der Regel
für den nächsten Tag keine Außenarbeiten eingeplant.

Diese präzisen Prognosen der Sichtweite stellen an einem Ort, an dem
es außer auf der Polarstern keine Sichtweitemessgeräte in der
weiteren Umgebung gibt, eine ausgesprochen große Herausforderung dar.
Zudem sind die Vorhersagemodelle für diese Grenzschichtproblematik im
Großen und Ganzen unbrauchbar. Dem Bordmeteorologen bleibt mitunter
nur die eigene Erfahrung aus den vergangenen Tagen und Wochen, um
verlässliche Prognosen der Sichtweite für die nächsten 24 Stunden zu
erstellen. Aufgrund des geringen Wassergehalts in der arktischen
Kaltluft ist Nebel zwar eher selten, allerdings ist die Eisscholle,
an der die Polarstern festgemacht hat, dünner als noch vor dem
Eintreffen vor Ort vermutet. So gibt es häufig Risse und dann bildet
sich bei niedrigen Lufttemperaturen über dem offenen Wasser schnell
Seerauch, der sich durchaus zu Nebel verdichten kann. Mit etwas Wind
breitet sich dieser aus und in kurzer Zeit liegen Teile der
Expeditionsfelder im dichten Nebel. Die Vorhersage solcher Ereignisse
ist natürlich nicht möglich, wodurch die ständige Beobachtung des
Eises und Kontrolle der Lufttemperatur von großer Bedeutung ist!

Hohe Niederschlagsmengen gibt es in der trockenen Luft in der Arktis
auch nicht so häufig. Jedoch reichen schon geringe Mengen aus, um die
Sichtweite herabzusetzen. Kommt dann aufgrund des Windes noch
Schneetreiben hinzu, können sich die Sichtverhältnisse rasch
verschlechtern. All diese Umstände muss der Meteorologe bei seiner
Vorhersage beachten.

Obwohl in dieser Jahreszeit Finsternis in der Arktis herrscht und die
Fliegerei dadurch erheblich erschwert wird, können einige
Forschungsvorhaben ohne Hubschraubereinsätze nicht durchgeführt
werden. Es gibt Außenstationen, zu denen die Helikopter alle paar
Tage fliegen müssen, damit die Batterien der Landebeleuchtung
gewechselt werden können. Denn in absoluter Dunkelheit würden die
Außenstationen sonst nicht bedient werden können. Aber auch in der
unmittelbaren Umgebung der Polarstern werden die Helikopter
eingesetzt. Aus meteorologischer Sicht sind für die Fliegerei
Informationen über Wolken, Wind, Wetter, Sicht, Temperatur, Vereisung
und Turbulenz unabdinglich. Besonders wichtig sind aufgrund der
24-stündigen Nacht und der dadurch ohnehin schon schlechten Sicht die
Wolkenuntergrenzen und Sichtweiten. Sagen die Meteorologen eine
Wolkenbasis von unter 1500 Fuß (etwa 450 Meter) und eine anhaltende
Sichtweite von weniger als 5000 Meter vorher, darf kein Helikopter
abheben. Ebenso wichtig sind Vereisung, gefrierende Niederschläge und
Turbulenzen. Wie bereits erwähnt, ist der Wassergehalt der arktischen
Kaltluft meist sehr gering. So kommt überwiegend nur leichte
Vereisung vor. In den Wolken, wo Vereisung eher ein Problem
darstellt, darf so oder so nicht geflogen werden. Mäßige, teils auch
starke Vereisungsgefahr besteht jedoch vor allem in den Bereichen mit
offenem Wasser, wenn sich Seerauch bilden kann, in dessen Umgebung
der Theorie nach sogar Turbulenzen auftreten können. Aufgrund der
Finsternis sind diese Bereiche für die Piloten schwer auszumachen. Es
ist also höchste Vorsicht und Erfahrung geboten.

Ähnlich der Bestimmung der Sichtweite, stoßen Wettermodelle bei der
Prognose der Wolkenbasis in diesen Größenordnungen an ihre Grenzen.
Die Meteorologen nehmen das bordeigene Ceilometer zur Hilfe, das an
Ort und Stelle mit einem Laser die Untergrenzen der Wolken misst.
Auch werden die Satellitenbilder interpretiert, die von den
polarumlaufenden Satelliten empfangen werden. Zudem ist der
Radiosondenaufstieg, der mehrmals am Tag durchgeführt wird,
unerlässlich. Ohne diesen wären Vorhersagen kaum möglich. Das größte
Hindernis bei der Wettervorhersage während der MOSAiC-Mission ist und
bleibt aber die Finsternis. Wetterbeobachtung ist so gut wie
unmöglich, wenn nur bei Vollmond der Horizont erahnt und sonst
aufgrund des gleißenden Scheinwerferlichts, das die Messfelder
erleuchtet, selbst kaum Sterne am Himmel entdeckt werden können.

Die Meteorologen und Wetterfunktechniker unterstützen sich
gegenseitig. Sie leisten - wie alle Teilnehmer der MOSAiC-Expedition
- großartige Arbeit und verdienen größten Respekt. Wir
Zuhausegebliebenen hoffen, dass alle gut ins neue Jahr gekommen sind
und wünschen ihnen ein frohes und gesundes neues Jahr. Auf dass die
MOSAiC-Mission weiterhin erfolgreich verläuft! Viele Grüße an unsere
Kolleginnen und Kollegen vor Ort!

Vielen Dank an unseren Kollegen Jens Kieser, der uns die
Informationen über die Arbeit an Bord der Polarstern hat zukommen
lassen!

Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.01.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst