Thema des Tages

14-01-2020 10:20

Lawinenkunde Teil 1 - Gefahren und Prävention


Der erste Teil der mehrteiligen Lawinenkunde beschäftigt sich mit
allgemeinen Voraussetzungen und Prävention rund um die "weiße
Gefahr", die jeden Winter in den Alpen droht.


Für viele Wintersportler aus dem Flachland beginnt im Januar die
Skisaison und erreicht Anfang Februar für die meisten mit dem Start
der Winterferien ihren Höhepunkt. Doch bei aller Freude auf die weiße
Pracht bei den rasanten Abfahrten auf den alpinen Skipisten oder den
anspruchsvollen Skitouren sollte die Gefahr, die besonders abseits
der Pisten durch Lawinenabgänge droht, nicht unterschätzt werden.

Im Schnitt werden in jedem Winter sowohl in den schweizer als auch
österreichischen Alpen etwa 25 Tote durch Lawinenunglücke gezählt. So
wurden im letztjährigen schneereichen Winter 2018/2019 in der Schweiz
25 und in Österreich 19 Lawinentote erfasst. Und auch in diesem
Winter forderte beispielsweise eine Lawine im Schnalstal in Südtirol,
die tragischerweise auf die Teufelsegg-Piste niederging, das Leben
einer Frau und zwei junger Mädchen.
Doch was definiert überhaupt eine Lawine? Welche Voraussetzungen
braucht es zur Entstehung von Lawinen? Welche Arten von Lawinen gibt
es überhaupt? Welche Prozesse finden innerhalb einer Schneedecke
statt? Auf diese Fragen zur Schnee- und Lawinenkunde soll es in den
nächsten zwei Wochen in einer mehrteiligen Reihe Antworten geben.

Es gibt vier primäre Faktoren, die die Lawinensituation direkt
beeinflussen und die in aller Regel in direktem Zusammenhang stehen
und stets variieren. Dazu zählen die Schneeverhältnisse, das Wetter,
das Gelände und der Mensch. Das komplexe Zusammenwirken dieser
Faktoren gilt es durch die Lawinenwarndienste bei der Beurteilung der
Lawinengefahr zu berücksichtigen.

Generell unterscheidet man zwischen einem Schneerutsch und einer
Lawine. Dabei spricht man ab raschen Schneebewegungen über einer
Länge von 50 Metern und einem Volumen von 500 m3 von einer Lawine,
darunter von einem Schneerutsch. Das bedeutet, es muss sich genügend
Schnee in einem ausreichend steilen, oft vegetationsarmen Gelände
ansammeln und in Bewegung geraten. Eine Hangneigung von mindestens
30° ist in aller Regel notwendige Voraussetzung.

Aber auch der Aufbau einer Schneedecke, die sich meist aus mehreren
Schichten zusammensetzt, ist entscheidend für die Lawinenlage. Die
vorhandenen Schneedecken werden während verschiedener
Niederschlagsereignisse aufgebaut. Jede dieser Schichten besitzt
dabei unterschiedliche Eigenschaften durch die meteorologischen
Bedingungen während ihrer Entstehung. Einige Schichten wurden zum
Beispiel bei kalten Temperaturen durch lockeren Pulverschnee
gebildet, andere sind porös durch starke Winderosion. Außerdem finden
zwischen den verschiedenen Schichten stets Umwandlungsprozesse
(Metamorphosen) statt. Umso unterschiedlicher die Eigenschaften der
Schichten sind, desto instabiler ist der gesamte Schneedeckenaufbau.


Damit aber eine Lawine entsteht, braucht es noch einen Auslöser. Das
kann eine plötzliche Zusatzbelastung sein - z.B. durch Skifahrer,
Tourengeher, Schneeschuhwanderer. Aber auch Tiere oder ein Felssturz
können Auslöser sein. Zusätzlich können natürliche Prozesse wie ein
langsamer und stetiger Anstieg des Gewichts durch Schneefall, Regen
oder eine starke Durchfeuchtung der Schneedecke durch
Sonneneinstrahlung Initialzünder für Lawinen sein.

Lawinen sind vor allem im freien Gelände, d.h. abseits von Pisten
oder Skirouten, eine Gefahr für Ski- und Snowboardfahrer sowie für
Tourengänger. Dabei sorgen Mitreiß- und Absturzgefahr bei vielen
Lawinenopfern für schwere Stürze und sorgen u.a. oft für Verletzungen
an der Halswirbelsäule. Doch als häufigste Todesursache von
Lawinenopfern gelten die Gefahren von Erstickung und Unterkühlung
nach der Verschüttung durch die teils enormen Schneemassen. Neben der
Verstopfung der Atemwege können die Schneemassen einen enormen Druck
auf den Brustkorb des Verschütteten ausüben. So kann alleine 1 m³
Lawinenschnee eine Masse von 200-800 kg erreichen. Zudem besteht ohne
eine ausreichend große Atemhöhle nur eine geringe Überlebenschance.
So fällt der Sauerstoffanteil durch die Atmung schnell ab und eine
lebensbedrohliche CO2-Vergiftung droht, die innerhalb weniger Minuten
zu irreparablen Gehirnschädigungen oder zum Gehirntod führen kann.
Eine schnelle Rettung innerhalb weniger Minuten ist daher
unabdingbar, denn nach 15 Minuten sinkt die Überlebensrate drastisch.
Rund 46 % der Lawinenopfer sterben an Erstickung.

Ist eine ausreichend große Atemhöhle vorhanden, dann beginnt nun der
Wettlauf gegen die Zeit. Denn bereits ab 35 Minuten
Verschüttungsdauer kann die Unterkühlung durch die niedrigen
Temperaturen innerhalb der Schneemasse bereits ein kritisches Level
erreichen.

Um lebensbedrohliche Situationen möglichst zu vermeiden, empfiehlt es
sich daher vor dem Aufbruch ins offene Gelände den Lawinenbericht
unbedingt aufmerksam zu studieren und funktionsfähige
Lawinenausrüstung mitzuführen. Derzeit herrscht in den Bayerischen,
Tiroler und Schweizer Alpen verbreitet eine geringe Lawinengefahr
(Links unter diesem Text). Nur vereinzelt kann es zu
Selbstauslösungen von Gleitschneelawinen und durch große
Zusatzbelastung zu Schneebrettlawinen kommen.

In der Fortsetzung am kommenden Montag widmen wir uns genauer den
Umwandlungsprozessen innerhalb der Schneedecke und welche teils
negativen Auswirkungen diese auf die Lawinenbildung haben können.
Daran anknüpfend sollen in weiteren Teilen die verschiedenen
Lawinenarten: Schneebrett-, Locker-, Gleitschnee- und Staublawine
detaillierter vorgestellt werden.


M.Sc. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.01.2020

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