Thema des Tages

15-01-2020 09:50

Festgefroren in der Arktis (Teil 3)

Ein ganzes Jahr ist das Forschungsschiff "Polarstern" an einer
Eisscholle festgefroren und driftet durch die Arktis. Heute erfahren
Sie mehr über den logistischen und personellen Aufwand der
MOSAiC-Expedition und über die Rolle des DWD auf der Polarstern.

In den Themen des Tages vom 17. und 29. Dezember 2019 haben wir
bereits über die MOSAiC-Expedition ("Multidisciplinary drifting
Observatory for the Study of Arctic Climate", "Multidisziplinäres
Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas") berichtet.
Ziel der umfassenden Messungen dieser einjährigen Expedition ist es,
das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Meereis und Ozeanströmungen
sowie die regionalen und globalen Folgen des arktischen Klimawandels
besser zu verstehen (siehe Teil 1). Dies wird schlussendlich zu
genaueren Wetter- und Klimaprognosen führen. Die MOSAiC-Expedition
macht sich die sogenannte Eisdrift zu Nutze, die es ermöglicht, auch
im Winter in den mit Meereis bedeckten direkten Polbereich nördlich
des 87. Breitengrades zu gelangen (Teil 2). Festgefroren an einer
mächtigen Eisscholle driftet die Polarstern allein durch die Kraft
der Natur täglich mehrere Kilometer durch die Zentralarktis.


Die bisher größte Forschungsexpedition in dieser Region erfordert
einen enormen logistischen und personellen Aufwand. Innerhalb des
Jahres werden in sechs Fahrtabschnitten insgesamt etwa 600 Menschen
in der zentralen Arktis tätig sein. Darunter befinden sich
Wissenschaftler aus über 80 Forschungsinstituten und
Staatsunternehmen aus 19 Ländern sowie eine wechselnde
Schiffsbesatzung, Piloten, Köche und Ärzte. Zusätzlich zur Polarstern
sind weitere vier Eisbrecher im Einsatz, die gut koordiniert immer
zum richtigen Zeitpunkt den Nachschub an Treibstoff und Lebensmitteln
sicherstellen. Zudem ermöglichen sie die Schichtwechsel der
Teilnehmer der Expedition.


Um die Polarstern herum wurde im Umkreis von bis zu 50 Kilometern ein
umfangreiches Forschungscamp auf dem Meereis errichtet. Einige dieser
Stationen werden regelmäßig mit Helikoptern von der Polarstern aus
besucht. Die Helikopter erlauben auch die Evakuierung von Menschen
aus der Arktis. Es existiert hierzu ein Notfallplan für medizinische
Notfälle. Kleinere chirurgische Eingriffe können allerdings sogar von
einem kompetenten Arzt an Bord der Polarstern durchgeführt werden.
Zudem sind während der Messkampagne mehrere Forschungsflugzeuge im
Einsatz, von denen einige auf einer Eislandebahn neben der Polarstern
landen können. Im März und April werden beispielsweise die deutschen
Forschungsflugzeuge "Polar 5" und "Polar 6" die Messungen der
Expedition großflächig ergänzen. Außerhalb der Polarnacht können auf
der Eislandebahn auch Versorgungsflugzeuge landen, die (zusätzlich zu
den Eisbrechern) für den Austausch von Expeditionsmitgliedern,
Material und Lebensmitteln dienen. Die Flugzeuge und Helikopter
können vor Ort betankt werden, was ihnen ermöglicht, für längere Zeit
in der Zentralarktis messen zu können. Auf den Inseln vor der
sibirischen Küste wurden zudem Treibstoffdepots eingerichtet.


Allein dieser kleine Einblick verdeutlicht, dass eine derartige
Messkampagne akribisch vorbereitet und geplant werden muss. Noch nie
zuvor wurde für eine Expedition in der Arktis ein derart immenser
logistischer Aufwand betrieben. Sowohl der gleichzeitige Einsatz von
vier Eisbrechern als auch die Anzahl von Forschungsflügen in dieser
wahrlich extremen Region der Erde ist bisher einzigartig.


Auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) ist Teil dieser Expedition. Vier
Meteorologen/innen und drei Wetterfunktechniker wechseln sich auf den
sechs Abschnitten ab. Der Bordmeteorologe erstellt unter anderem
mehrmals täglich schriftliche Wettervorhersagen und
Flugwetterberichte und ist der direkte Ansprechpartner für alle
Fragen rund ums Wetter (siehe hierzu auch das Thema des Tages vom 5.
Januar 2020). Er steht im ständigen Kontakt mit der Schiffsführung,
den Wissenschaftlern an Land und den Piloten der Helikopter und
Flugzeuge, um so zur Sicherung und Effizienz der Forschungsvorhaben
beizutragen. Der Wetterfunktechniker versorgt den Meteorologen mit
Wetterdaten, wartet und enteist die meteorologischen Messgeräte an
der Bordwetterwarte und lässt täglich Radiosonden aufsteigen, die der
Meteorologe für seine Flugwettervorhersage auswertet. Etwa von Mitte
Februar bis Anfang April befindet sich ein Meteorologe aus der
Vorhersage- und Beratungszentrale des DWD auf der Polarstern. Er wird
sicherlich im Anschluss an dieser Stelle über seine Arbeit und
Erfahrungen berichten.


Neben diesen rein materiellen und personellen Rahmenbedingungen sind
zuletzt die psychischen Belastungen der Forschungsteilnehmer nicht zu
unterschätzen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen monatelang bei
eisiger Kälte in der Arktis fest, weit und breit nichts als Eis und
fernab von Familie und Freunden. Während der Polarnacht von Ende
Oktober bis fast Ende Februar kommt noch eine absolute Dunkelheit
hinzu. Für die meisten der Teilnehmer ist dies eine ganz neue
psychologische Erfahrung. Daher ist es wichtig, dass das Team an Bord
die ganze Zeit eine gute Stimmung behält. Schon kleinste Details wie
die Kochkünste des Küchenpersonals oder ein seltenes kurzes Telefonat
per Funktelefon mit der Familie weiß man unter solchen
Voraussetzungen besonders zu schätzen. Der Unmut mancher
Daheimgebliebenen über wenig Sonne in der oft trüben Winterzeit rückt
damit in ein ganz anderes Licht.


Dr. rer. net. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.01.2020

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