Thema des Tages

21-01-2020 09:20

Lawinenkunde Teil 2 - Schneemetamorphose

Haben sie schon mal von Becherkristallen, Schwimmschnee oder Firn
gehört? Schneemetamorphose verändert Neuschnee innerhalb kürzester
Zeit. Welche Prozesse stecken dahinter und welche Auswirkung hat das
auf die Stabilität der Schneedecke?


Das Thema des Tages vom 14.01.2020
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/1/14.html)
beschäftigte sich mit allgemeinen Voraussetzungen für Lawinen und die
von ihnen ausgehenden Gefahren. Teil 2 der Lawinenkunde behandelt die
Schneemetamorphose. Es gibt drei Arten der Umwandlung: abbauende und
aufbauende Metamorphose sowie Schmelzumwandlung.

Zunächst braucht es für die Schneeumwandlung eine geschlossene und
möglichst ausreichend mächtige Schneedecke, die wir Wintersportler so
sehr lieben. Dabei beginnt alles mit dem Hereinbrechen der kalten
Jahreszeit. Die Temperaturen sinken und in den Wolken wachsen
Eiskristalle in den unterschiedlichsten Mustern, wie Prismen, Sterne,
Stäbchen, Plättchen oder Säulen immer aus einer sechseckigen
Grundform heraus. Dabei sind die Eiskristalle von ihrer Entstehung in
der Atmosphäre bis hin zum Schmelzen ständigen Veränderungen
unterworfen. Bei einer Temperatur von unter 0°C verhaken sich die
Schneekristalle und bilden gemeinsam einzelne Schneeflocken. Ab
diesem Zeitpunkt beginnt sich der Schnee zu verändern. Anfangs haben
die Schneeflocken noch eine super Bindung untereinander. Ihre
Struktur mit den vielen Armen lässt Platz für viel Luft in den
Zwischenräumen und sorgt dafür, dass sich die einzelnen Schneeflocken
trotzdem gut ineinander verkeilen und sich gegenseitig
zusammenhalten. Jetzt gibt es besten Pulverschnee auf der Skitour.

Doch lange bleibt dieser Zustand nicht erhalten und setzt unmittelbar
nach der Ablagerung ein. Die abbauende Schneemetamorphose beginnt.
Viele der feinen Äste und Spitzen brechen ab, die Kristalle werden
kleiner und bekommen gerundete Ecken (Filziger Schnee).
Windeinwirkung kann diesen Vorgang zusätzlich unterstützen, sodass
eine regelrechte Zertrümmerung stattfindet. Die Schneekristalle
verkleinern ihre Oberfläche und Größe weiter, im Bestreben die
Kugelform zu erreichen. Schließlich werden die vormals sehr
unterschiedlichen Schneekristalle zu kleinen runden Körnern, sodass
sich der Porenraum dazwischen verringert. Die Luft aus den
Zwischenräumen verschwindet und die Schneedecke setzt sich. Die
Verbindungen zwischen den Körnern sind relativ fest und es entsteht
eine stabile, gesetzte Altschneedecke.

Die abbauende Metamorphose findet bei einem Temperaturgradienten von
weniger als 15K/m aber bei Temperaturen unter 0°C innerhalb der
Schneedecke statt. Bei -5°C dauert die abbauende Umwandlung zwischen
einer und zwei Wochen. Bei höherer Temperatur oder größerem Druck
wird die Umwandlung beschleunigt.

Die Veränderung der Schneedecke muss aber an diesem Punkt noch nicht
abgeschlossen sein. Existieren innerhalb der Schneedecke größere
Temperaturunterschiede - z. B. aus dem Grund, dass die
Bodentemperatur konstant bei 0°C liegt, aber die Schneedecke wegen
extrem kalter Außentemperaturen wesentlich niedriger ist, kommt es
zur sogenannten aufbauenden Schneemetamorphose. Voraussetzung für das
Einsetzen der aufbauenden Umwandlung ist ein Temperaturgradient der
größer als 15K/m ist. Insbesondere in Verbindung mit geringen
Schneehöhen. Je dünner also die Schneehöhe (bevorzugt an
Geländekanten oder an Felsen), desto geringer die erforderliche
Kälte.

Durch den Temperaturgradienten beginnt der Wasserdampf im Porenraum
von den wärmeren bodennahen Schichten zu den kälteren im Bereich der
Schneedeckenoberfläche zu wandern. Trifft der Wasserdampf auf ein
Eiskristall, lagert er sich an seiner Unterseite ab und der Kristall
beginnt nach unten zu wachen. Es kommt zum Aufbau und zur
Vergrößerung von prismatischen, quaderartigen, pyramiden- oder
säulenförmigen Schneekörnern. Kantige Formen bilden bei
fortschreitender Umwandlung Becherkristalle oder den sogenannten
Schwimmschnee (auch als Tiefenreif bezeichnet). Bei der Entstehung
größerer Körner haben diese weniger Kontaktpunkte zueinander und es
entsteht ein größerer Porenraum. Dadurch tritt eine starke
Entfestigung der Schneedecke ein und es entstehen Schwachschichten,
die sozusagen im Verborgenen liegen und die Lawinengefahr erhöhen.
Die aufbauende Umwandlung läuft im Vergleich zur abbauenden
Umwandlung langsamer ab. Sie dauert zwei bis vier Wochen bis zum
Aufbau von Becherkristallen.

Steigt die Temperatur in der Schneedecke hingegen auf über 0°C, dann
setzt die Schmelzumwandlung ein. Wenn die Schneekristalle anfangen zu
schmelzen, setzt sich die Schneedecke und eine Verfestigung tritt
ein. Ebenso wird die Umwandlung durch Feuchtigkeitszufuhr, wie Regen
oder Nassschnee, gefördert. Gefriert der durchfeuchtete Schnee,
entsteht ein Schmelz-Harschdeckel, der bei entsprechender Dicke
stabilisierend auf die Schneedecke wirkt. Bei starker Durchfeuchtung
der Schneedecke durch Regen oder Sonneneinstrahlung kommt es zu einem
Festigkeitsverlust, da das freiwerdende Wasser zwischen den
Kristallen nach unten abläuft. Die Schneeoberfläche wird wellig und
bucklig. Wenn das Wasser auf eine wasserundurchlässigere Schicht oder
bis zum Boden läuft, entsteht dort ein Schmelzwasserstau, der wie
eine Schmierschicht wirkt. Diese Schicht ist eine ideale Gleitbahn
für Nassschneelawinen.

Beim Einsickern von Schmelzwasser in kalte Zonen können auch in
tieferen Schichten Eislamellen entstehen. Wenn der Vorgang des
Schmelzens und Gefrierens länger als ein Jahr andauert, entsteht
Firn. Dauert diese Änderung über mehrere Jahre an, geht der Firn bei
entsprechenden Bedingungen in Gletschereis über.


M. Sc. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.01.2020

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