Thema des Tages

22-01-2020 09:20

Lawinenkunde Teil 3 - Schneebrettlawinen

Lawine ist nicht gleich Lawine. Die Schneebrettlawine ist die für
Wintersportler gefährlichste Lawinenart. Welche Bedingungen die
Schneebrettlawine braucht und bei welchen typischen Schneesituationen
sie auftritt, klären wir im heutigen Thema des Tages.


Schneebrettlawinen sind die gefährlichsten Lawinen, da sie für über
90 % der Lawinenopfer verantwortlich sind. Die meisten davon haben
ihre Lawine selbst ausgelöst. Die typische durch Wintersportler
ausgelöste Schneebrettlawine ist 50 Meter breit und 150-200 Meter
lang.

Der erste Faktor für die Lawinenbildung ist die Schichtung der
Schneedecke (siehe Thema des Tages vom 21.01.2020:
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/1/21.html). Die
Schneedecke setzt sich aus verschiedenen Schneeschichten der
einzelnen Niederschlagsereignisse zusammen. Zusätzlich wirken weitere
Einflüsse wie Windverfrachtung oder Wärmestrahlung auf die
Zusammensetzung der Schneeschicht. Eine Schneebrettlawine braucht
dabei eine Kombination aus einer durchgehenden Schwachschicht und
einer darüber liegenden genügend stark gebundenen Schicht - dem
Schneebrett. Die Schwachschicht zeichnet sich durch eine schwache
Struktur aus und besteht unter anderem aus kantigen Becherkristallen
aus der aufbauenden Schneeumwandlung. Aber auch eingeschneiter
Oberflächenreif oder Graupel kann die Basis für Schwachschichten
sein. Generell existieren in diesen Schichten nur wenige und schwache
Verbindungen zwischen den Eiskristallen.

Das typische Schneebrett besteht aus dickeren Schichten mit kleinen
Körnern, die gut miteinander verbunden sind. Typisch für die Bildung
eines Schneebrettes ist Triebschnee (vom Wind verfrachteter Schnee),
sodass der Satz: "Der Wind ist der Baumeister der Lawinen!" seine
Berechtigung hat. Ein Schneebrett muss aber trotz des Namens nicht
hart sein - im Gegenteil, die meisten Schneebretter sind weich.

Die zweite Bedingung für den Abgang einer Schneebrettlawine ist ein
auslösender Moment. Am Anfang steht dabei der Initialbruch, eine
Schädigung in der Schwachschicht, zum Beispiel durch zunehmende
Belastung während eines Schneefalls oder durch die Zusatzlast eines
Wintersportlers. Je näher die Schwachschicht an der Schneeoberfläche
liegt und je weicher die überlagernde Schicht ist, umso eher lässt
sich ein Bruch initiieren. Stellen mit einer tief liegenden
Schwachschicht sind also weniger kritisch als Zonen mit wenig Schnee.
Erreicht der Initialbruch eine kritische Fläche, beginnt schlagartig
die Bruchausbreitung innerhalb der Schwachschicht. Das Schneebrett
muss schwer und verformbar sein, um möglichst viel Energie zu
liefern. Je schwerer und verformbarer das Schneebrett und je
schwächer die Schwachschicht ist, umso kleiner ist die "kritische
Größe", ab der sich der Initialbruch schlagartig ausbreitet. In der
Schwachschicht breitet sich der Bruch über den ganzen Hang aus, bis
ein Zugriss quer durch das Schneebrett entsteht. Der Bruch in der
Schwachschicht kommt zum Stillstand und die abgelöste Schneetafel
beginnt sich talwärts zu bewegen.

Dafür jedoch ist der nächste Faktor, eine ausreichende Hangneigung
erforderlich. Meist braucht es für den Abgang der Lawine mindestens
eine 30 Grad Neigung. Die Schneebrettlawine ist dabei durch einen
linienförmigen, meist quer zum Hang verlaufenden Anriss
charakterisiert. "Wumm"- oder Zischgeräusche und Risse beim Betreten
der Schneedecke sind Alarmzeichen, die unmissverständlich zeigen,
dass die Schneedecke alle Eigenschaften hat, die es zur Auslösung
einer Schneebrettlawine braucht.

Schneebrettlawinen können sowohl im trockenen als auch im nassen
Schnee abgehen, sogar lange nach einem Schneefall (auch im Altschnee
ein Problem). Bei nassen Schneebrettlawinen wird die Schneedecke
durch die Schmelze feucht oder erhält durch Regen eine
Zusatzbelastung. Wasser, das in die Schneedecke hineinsickert, kann
sich an markanten Schichtgrenzen stauen. Dort kann es zum Anreißen
einer Schneetafel kommen. Der lokal hohe Wassergehalt kann aber auch
an Schwachschichten zu einer weiteren Abnahme der Festigkeit führen
und den Bruch wahrscheinlicher machen.

Aktuell schätzen die Warndienste die Lawinengefahr in den Hochlagen
der Alpen als mäßig ein mit einer in den kommenden Tagen abnehmenden
Tendenz. Schneebrettlawinen sind vor allem bei
Triebschneeansammlungen oberhalb der Waldgrenze im kammnahen
Steilgelände oder in eingewehten Rinnen und Mulden möglich. Die
Auslösung benötigt allerdings eine große Zusatzbelastung z. B. durch
eine Skifahrergruppe ohne Abstände, vereinzelt auch durch einzelne
Wintersportler.


M.Sc. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 22.01.2020

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