Thema des Tages

28-01-2020 09:20

Lawinenkunde Teil 4 - Lockerschneelawine

Für Wintersportler ist die Lockerschneelawine generell weniger
gefährlich als die Schneebrettlawine. Welche typischen
Schneesituationen braucht die Lockerschneelawine? Was kennzeichnet
ihren Anbruchmechanismus? Diesen Fragen gehen wir im heutigen Thema
des Tages nach.


In den Themen des Tages vom 14.01., 21.01. und 22.01.2020 wurden
bereits generelle Gefahren bei Lawinen, die Prozesse der
Schneeumwandlung innerhalb der Schneedecke sowie die Lawinenart der
Schneebrettlawinen genauer beleuchtet. Im heutigen Thema soll sich
alles rund um die Lockerschneelawine drehen.

Markante Kennzeichen von Lockerschneelawinen sind ein punktförmiger
Anriss und eine birnenförmige oder kegelförmige Sturzbahn (siehe
Bild). Lockerschneelawinen fordern im Vergleich zu Schneebrettlawinen
weniger als 10 % der Lawinenopfer. Bei Lockerschneelawinen kommt
Schnee, oft spontan selbst oder durch Ski- und Snowboardfahrer
ausgelöst, in Bewegung und reißt beim Abgleiten immer mehr Schnee
mit. Der typische "Schneeballeffekt", durch den die Lawine beim
Abgleiten immer größer wird. Die Hauptgefahr besteht darin, dass man
aus dem Gleichgewicht gebracht und mitgerissen wird oder von einem
Felsen abrutschen kann. Eine Verschüttung des auslösenden
Wintersportlers findet normalerweise nicht statt, weil die Lawine
unter ihm abgeht und die Schneemassen nicht so mächtig sind.
Gefährlich wird es nur für andere Personen, die sich in der
hangabwärts gerichteten Fließbahn der ausgelösten Lawine aufhalten.


Eine Lockerschneelawine ähnelt dem "sluff" (sluff: eine kleine lose
Schneelawine). Sluff ist der Schnee, den der Ski- oder
Snowboardfahrer selbst losfährt, wenn man in steilen Hängen im
Gelände unterwegs ist. Der Pulverschnee rollt nach unten und nimmt
immer mehr Schnee mit. Sluff ist nicht per Definition gefährlich,
aber er kann genauso wie eine Lockerschneelawine stark genug sein, um
jemanden aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen. Kommt man in eine
Lockerschneelawine oder in seinen eigenen Sluff, empfiehlt es sich
seitlich aus dem Gefahrenbereich wegzufahren.

"Trockene" Lockerschneelawinen treten vor allem dann auf, wenn sich
nach Neuschneefällen der frisch gefallene Schnee an der Oberfläche
noch nicht verfestigt hat. Dem frischen Pulverschnee fehlen dabei
ausreichende Bindungen zur darunterliegenden Altschneedecke. Unter
diesen Umständen kann alleine die Hangabtriebskraft in ausreichend
steilem Gelände zur Auslösung führen. Damit die Energie, die bei
einer Lockerschneelawine benötigt wird, auch aufkommen kann, benötigt
diese Art einen steileren Hang als die Schneebrettlawine. Meist
treten Lockerschneelawinen bei Hangneigungen zwischen 40 und 60 Grad
auf.

"Nasse" Lockerschneelawinen entstehen hingegen bei Durchfeuchtung der
obersten ungebundenen Schneeschicht. Die Durchfeuchtung kann durch
Tauwetter mit plötzlich erhöhter Erwärmung oder längere
Sonneneinstrahlung hervorgerufen werden. Bei letzterem sind vor allem
südseitige Hangexpositionen sowie mit Felsen durchbrochene
Schneedeckenbereiche begünstigt. Die dunkleren Felsen absorbieren das
einfallende Sonnenlicht und geben die aufgenommene Wärmeenergie an
die umgebenden Schneedeckenbereiche ab. Nasse Lockerschneelawinen
können auch schon bei weniger als 40 Grad Neigung losbrechen,
verhältnismäßig groß werden und erreichen schnell viel Kraft. Wenn
die komplette Schneedecke durchfeuchtet ist, können sie auch bis zum
Grund abgehen, und das sogar auf Hängen unter 30 Grad Neigung.

Mit Tief LOLITA gibt es an den Alpen heute eine frische Packung
Neuschnee. In den Bayerischen Alpen fallen oberhalb von rund 1000 m
bis zum Mittwoch 10 bis 25 cm, in Staulagen des Allgäus auch bis 40
cm Neuschnee. Bei Sturm- bis Schweren Sturmböen, exponiert auch
orkanartigen Böen wachsen im Tagesverlauf vor allem teils leicht
auslösbare Triebschneeansammlungen. In höheren Lagen kann der
Neuschnee an felsdurchsetzten Steilhängen auch in Form mittelgroßer
Lockerschneelawinen abgehen. Der Bayerische Lawinenwarndienst hebt
daher heute die Gefahrenstufe oberhalb der Waldgrenze von mäßig auf
erheblich, darunter von gering auf mäßig an.


M.Sc. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.01.2020

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