Thema des Tages

07-03-2020 10:50

Objektive Schwierigkeiten bei der Böenparametrisierung


Wind bedeutet Ausgleich von Druckunterschieden, die sich durch
Temperaturunterschiede aufbauen. Nichtsdestotrotz bestehen
physikalische Schwierigkeiten, gerade die Windböen genauer zu
erfassen und vorherzusagen.

Immer, wenn wir eine Luftbewegung spüren, fragen wir uns nicht nur,
woher der Wind weht, sondern auch, warum er mal schwächer und mal
stärker daherkommt.

Nun ja, Wind ist als direkte Folge des Druckausgleichs zwischen hohem
und tiefem Luftdruck zu verstehen. Diese Druckunterschiede können
sich aufbauen, wenn horizontale Temperaturunterschiede entstehen
(z.B. durch unterschiedliche Luftmassen). Dazu kommt, dass sich diese
Druckunterschiede in der Höhe mitunter noch verstärken, da in einer
kalten Luftmasse der Druck mit der Höhe schneller abnimmt als in
einer warmen Luftmasse. Physikalisch kann man sich diesen Umstand
damit erklären, dass die vertikale Druckabnahme der Luftdichte
proportional ist. Die Dichte von kalter Luft ist hierbei größer als
die von warmer Luft. Daher herrscht in unseren Breitengraden oft ein
stärkerer Wind in der Höhe als am Boden.

Das bisher Gesagte erklärt allenfalls den so genannten Mittelwind,
also die über einen definierten Zeitraum gemittelte Schwankungsbreite
der Windgeschwindigkeit. Es sagt relativ wenig aus über die Böigkeit
des Windes in Bodennähe, die wiederum Ergebnis der Fluktuation des
Mittelwindes, bedingt durch den jeweiligen Turbulenzzustand der
Atmosphäre ist. Turbulente Bewegungen entstehen in Fluiden (wie Luft
oder auch Wasser) immer, wenn entweder bestimmte Geschwindigkeiten
des Fluides überschritten werden, die Strömung also abreißt und damit
ihre laminare (oder geschichtete) Struktur verloren geht oder aber
die Scherung (unterschiedliche Geschwindigkeiten innerhalb einer
Strömung, hervorgerufen z.B. durch Hindernisse oder größere
horizontale Temperaturunterschiede) so groß wird, dass lokale
Verwirbelungen entstehen. Gerade diese Verwirbelungen drücken die
turbulente innere Reibung des Fluides aus und wirken damit
ausgleichend auf Strömungsgeschwindigkeit und lokale
Temperaturdifferenzen.

Wenn sich nun z.B. die Luft in der Nähe von Grenzflächen wie dem
Erdboden bewegt, wird sie durch die höhere Reibungskraft in Bodennähe
abgebremst. Diese entgegenwirkende Kraft wird in der Physik
Schubspannung genannt und die zugehörige Geschwindigkeit von Fluiden
an Grenzflächen Schubspannungsgeschwindigkeit. Diese hängt nun
maßgeblich von der Dichte des Fluides ab, d.h. je kleiner die Dichte
des Fluides, desto höher die Schubspannungsgeschwindigkeit und damit
auch die Neigung zu Turbulenz (sowohl durch Verwirbelung als auch
durch hohe Geschwindigkeiten). Hier drängt sich der direkte Vergleich
im Strömungsverhalten z.B. von Wasser und Luft auf.

Nun muss man sich die Turbulenz noch räumlich vorstellen, d.h. hier
sprechen wir von einer Überlagerung von Horizontal-, lokalen Wirbel-
und Vertikalbewegungen. Ausgedrückt wird dies in der Physik durch die
Totale Kinetische Energie (TKE) des Fluides, die zum Quadrat der
Geschwindigkeit des Fluides proportional ist (horizontale und
vertikale Geschwindigkeit überlagert, unter Berücksichtigung der
horizontalen und vertikalen Windscherung, also der Differenz der
Windgeschwindigkeit).

Vertikalbewegungen entstehen in der Atmosphäre einerseits durch
Hebung der Luft (z.B. durch Konvektion, also Aufsteigen von relativ
warmer und damit leichterer Luft unter Mitführung von Masse),
andererseits können auch Abwärtsbewegungen durch eine bestimme
vertikale Schichtung der Luftsäule forciert werden. Das trifft
insbesondere bei labiler Schichtung (starke vertikale
Temperaturabnahme) zu, wenn in der Höhe relativ kalte und damit
schwerere Luft liegt, wobei dann der stärkere Höhenwind
heruntergemischt werden kann. In diesem Fall sind so genannte
Fallböen möglich, die den Wind am Boden zumindest zeitweise (böig)
verstärken können.

Unsere derzeitigen Wettermodelle berücksichtigen einerseits den
mitunter verstärkenden Einfluss von Hindernissen auf die
Windgeschwindigkeit, gerade auf die maximalen Windböen. Gemeint ist
die Orografie, die auf die Strömung je nach Anströmwinkel einen
blockierenden Einfluss ausübt und damit die Turbulenz lokal erhöht.
Andererseits werden starke Vertikalbewegungen über die Konvektion
sowie auch horizontale und vertikale Verwirbelungen durch die
Windscherung mit einbezogen (siehe Grafik anbei).

Schwierigkeiten bei der Berechnung oder empirischen Annäherung
(Parametrisierung) der Windböen bestehen allerdings nach wie vor.
Einerseits bereitet die exakte mathematische Beschreibung des
Turbulenzzustandes der Atmosphäre diverse Probleme, andererseits
wirft das Heruntermischen des Höhenwindes in Abhängigkeit von der
vertikalen Stabilität der Schichtung, insbesondere bei stabiler
Schichtung (geringe Temperaturabnahme oder gar Temperaturzunahme mit
der Höhe) gerade innerhalb der Planetarischen Grenzschicht (von 0 bis
im Mittel etwa 1500 m Höhe) immer wieder Fragen auf.

In einer Zeit immer besser auflösender Wettermodelle (horizontal und
vertikal) und exakterer Berechnungsansätze sowie intensiver
Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet dürfte es nur eine Frage der
Zeit sein, noch realistischere Prognosen der Windböen zu erhalten.
Ein Umstand, der insbesondere für das Warnmanagement der
Wetterdienste immens wichtig erscheint.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.03.2020

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