Thema des Tages

12-03-2020 09:20

Zu milder Winter, Vegetation ihrer Zeit voraus

Bei Spaziergängen durch die Natur oder im eigenen Garten ist es
deutlich zu erkennen - die Vegetationsentwicklung ist schon deutlich
fortgeschritten. Doch welche Probleme kann dieser "Frühstart" mit
sich bringen?

Vor wenigen Tagen (am 29.02.) ging der sogenannte "meteorologische
Winter" zu Ende, wobei die Definition dessen - wie an dieser Stelle
schon öfter erklärt - rein statistische Gründe hat. Zum Ende einer
jeden Jahreszeit veröffentlicht der DWD traditionell auch die
klimatologische Auswertung des jeweils abgelaufenen Jahresviertels.
Für den vergangenen Winter titelt die entsprechende
DWD-Pressemitteilung mit folgender Schlagzeile: "In Deutschland
zweitwärmster Winter seit Aufzeichnungsbeginn 1881". Nun wird zwar
von einer solchen Aussage durchaus kurz Notiz genommen, aber in der
aktuell sehr hochfrequenten und schnelllebigen Nachrichtenwelt wird
diese dann doch wieder zügig vergessen. Umso mehr soll an dieser
Stelle ein kleiner Aspekt der möglichen Konsequenzen angesprochen
werden.

Die großen positiven Abweichungen zu den langjährigen
Temperaturmittelwerten tangieren große Teile der Bevölkerung erstmal
nicht wesentlich - wenn man von den enttäuschten Winterliebhabern
absieht (quasi ein "Luxusproblem"). Beispielweise kam es kaum zu
winterlichen Straßenverhältnissen, Streusalz konnte zu Gunsten der
Natur gespart werden und wahrscheinlich werden sich auch die
Heizkosten am unteren Ende der Fahnenstange bewegen. Doch einige, die
mit oder in der Natur arbeiten, haben durchaus auch ein paar
Sorgenfalten. Beispielsweise beginnt in allen deutschen Regionen die
Vegetationsperiode mehrere Wochen früher als aus den langjährigen
Aufzeichnungen abgeleitet werden kann. Um solche Aussagen
wissenschaftlich fundiert treffen zu können, betreibt der DWD ein
umfassendes Beobachtungsnetz. Dabei beobachten quer über das Land
verteilt die damit betrauten Melder die Vegetationsentwicklung und
teilen den Beginn von klar definierten phänologischen Abschnitten dem
DWD mit. Im Frühling ist der Indikator beispielweise der Blühbeginn
der verschiedenen Pflanzen.

Aus den gesammelten Daten wird schlussendlich die sogenannte
phänologische Uhr erstellt, die sowohl bundesweit als auch für die
einzelnen Länder verfügbar ist. Diese zeigt aktuell, dass
beispielsweise der Erstfrühling - bundesweit gesehen - bereits mit
dem 08.03. begann. Angezeigt wird diese Vegetationsperiode durch den
Blühbeginn der Forsythie. Normalerweise würden man die Blüte der
erwähnten Pflanze im Mittel erst ab dem 26.03. erwarten, damit hat
die Natur im Jahr 2020 einen "Vorsprung" von fast drei Wochen. Doch
was hat das jetzt für Konsequenzen?

Der Frühling ist normalerweise jene Jahreszeit, während der es
häufiger als in den anderen Jahresvierteln zu einer Änderung der
Wetterlage kommt. Sehr warme Südwestströmungen werden beispielsweise
innerhalb weniger Tage von kalten Nord- oder Nordostlagen abgelöst.
Solche Kaltluftepisoden können teilweise bis in den Mai hinein oder
sogar noch Anfang Juni vorkommen, davon zeugen die historischen
Singularitäten der "Eisheiligen" oder der "Schafskälte". Allerdings
beschränkt sich die Möglichkeit von Nachtfrösten im fortgeschrittenen
Frühling dann doch zunehmend auf das Bergland. Ganz anders ist die
Situation aber in den Monaten März oder April zu beurteilen. Starke
Kaltlufteinbrüche gehen in diesen Monaten oft bis ins Flachland mit
leichten, teilweise auch noch mäßigen Nachtfrösten einher. Die daraus
resultierenden Konsequenzen können aber für die jeweils blühende
Kultur schwerwiegend sein. Ist die Natur nun ihrer Zeit sehr weit
voraus (z.B. bei frühblühenden Obstsorten), steigt damit auch die
Wahrscheinlichkeit mit solchen Problemen konfrontiert zu werden.

Wie schaut es nun aber in den kommenden Tagen aus? Derzeit dominiert
noch die seit Wochen relevante Wetterlage "West", mit der am heutigen
Donnerstag eine Kaltfront von der Mitte südwärts gelenkt wird. In den
Frühstunden des Freitags wird diese die Alpen erreichen. Die milde
bis sehr milde Luftmasse wird damit vorübergehend durch etwas
erwärmte Meeresluft polaren Ursprungs ersetzt. In der Nacht zum
Samstag sinkt die Temperatur daher recht verbreitet unter den
Gefrierpunkt. Ab Sonntag dreht die Strömung auf Südwest, ab dem
Wochenbeginn mischt auch zunehmend Hochdruckeinfluss in der
Wetterküche mit. Dementsprechend wird es wieder mild bis sehr mild
und die Sonne kann sich zeit- und gebietsweise sehr gut behaupten. In
der zweiten Wochenhälfte ist die genaue Lage des Hochdruckgebiets
allerdings einigen Unsicherheiten unterworfen, sodass auch ein neuer
Kaltluftvorstoß mit zumindest regionalen Nachtfrösten
wahrscheinlicher wird. Daher unser Rat: Sollten Sie an den
frühlingshaften Tagen ihre empfindlichen Pflanzen bereits ins Freie
stellen wollen, könnte zur Entscheidungsfindung beispielweise die für
viele Orte Deutschlands verfügbare Frostwahrscheinlichkeit helfen
(siehe https://www.dwd.de/DE/leistungen/frostgang/frostgang.html)
oder zumindest die anschließende tägliche Lektüre unserer
Wetterberichte.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.03.2020

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