DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

28-03-2020 18:30
SXEU31 DWAV 281800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 28.03.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Erst Sommerzeit, dann fette Kaltluft - zweiter atmosphärischer Nackenschlag nach
kalendarischem Frühlingsbeginn binnen einer guten Woche. Spätwinterlich mit
Schnee, Wind und Frost.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... hat im Nordwesten Druckanstieg eingesetzt, was, gelinde ausgedrückt,
als üble Täuschung interpretiert werden kann. Wirft es doch vielleicht bei der
einen oder dem anderen die Frage auf, ob das Wetter nach dem heutigen,
weitgehend wolkenfreien und zumindest in der Mitte und im Süden von den
Temperaturen her vorfrühlingshaften Samstag denn noch "schöner" werden kann.
Nein, liebe Freunde des Wettersports, am morgigen Sonntag kriegen wir richtig
was auf die Fresse (der Verfasser bittet an dieser Stelle um milde Nachsicht
angesichts der derben Wortwahl, aber manchmal eignet sich Fäkalvokabular am
besten dafür, einen Sachverhalt kurz und bündig auf den Punkt zu bringen).
Besagter Druckanstieg ist übrigens nicht unlogisch, kommen Mitteleuropa
respektive Deutschland doch zunehmend in den Wirkungsradius eines monumentalen
Hochdruckgebietes (KEYWAN) mit Zentrum südlich Islands. Es hat inzwischen nicht
nur ordentlich Muskelmasse aufgebaut - mehr als 1050 hPa sind eine echte
Empfehlung -, es reicht zudem bis weit in die obere Troposphäre, wo es von einem
breiten und weite Teile des mittleren Nordatlantiks überdeckenden Höhenrücken
ummantelt wird. Entscheidend für uns ist nun weniger die Tatsache, ob KEYWAN
1050 oder 1040 hPa auf die Waage bringt, sondern vielmehr das, was sich auf
seiner Ostflanke abspielt. Dort wird nämlich im wahrsten Sinne des Wortes mit
Hochdruck und nördlichen Winden arktische Polarluft aus ganz hohen Breiten
südwärts gesteuert, die dem zaghaften Vorfrühling bei uns ordentlich den Hintern
versohlt und am Sonntag für einen fulminanten Luftmassenwechsel sorgt. Schon in
der Nacht geht die 850-hPa-Temperatur im Norden und Nordwesten kräftig in den
Keller von 0 bis -3°C am Abend auf -7 bis -10°C am Morgen!
Eingeleitet wird die Kaltluftzufuhr durch eine Kaltfront, die ihren Namen
redlich verdient und bereits jetzt von Norden her auf den Vorhersageraum
übergegriffen hat. Sie gehört zu einem Tief - ja, ja, trotz des platzraubenden
KEYWANs gibt es auch noch Tiefdruckgebiete auf der Wetterkarte - namens MAREIKE,
das heute das Nordkap passiert hat und nun etwas Zeit über der Barentssee
verbringt, bevor es weiter in Richtung Karasee zieht (eine echte
Polarforscherin, die MAREIKE). Wie auch immer, Fakt ist, dass sich die
Wetterwirksamkeit der Kaltfront anfangs nur auf Wolkenfelder beschränkt, bevor
im Laufe der Nacht Niederschläge dazu kommen. Grund dafür ist die immer besser
funktionierende Zusammenarbeit mit der von der Nordsee nachstoßenden
südwestlichen Spitze eines positiv geneigten Troges über Nordeuropa. Zwar wird
der gesamte Trog von KLA überlaufen, gleichwohl ist vorderseitig auch ein nicht
zu unterschätzendes Quantum PVA am Start, das seine Wirkung offenbar nicht
verfehlt. So breiten sich etwa ab Mitternacht - Achtung, Zeitumstellung nicht
vergessen, um 02 MEZ geht es eine Stunde nach vorne auf 03 MESZ! - von der
Ostsee her Niederschläge süd-südwestwärts aus, die mit fortschreitender Zeit
mehr und mehr von Regen in Schneeregen oder Schneefall übergehen. Hier und da
besteht in den Frühstunden Glättegefahr durch Schneematsch. Abgesetzt von diesen
Niederschlägen kann es in den frühen Morgenstunden in den westlichen und
zentralen Mittelgebirgen erste schwache Schauer geben, wobei sich dort die
Schneefallgrenze bei 400/500 m einpendelt (bei leichtem Frost lokale Glätte
nicht ausgeschlossen). An den Alpen fällt staubedingt etwas Regen. Weil die
Kaltluft dort noch nicht richtig angekommen ist, liegt die Schneefallgrenze
zunächst noch über 1000 m.
Bliebe abschließend noch ein Blick auf den Wind, der zunächst an der Küste, je
weiter zum Morgen hin aber auch im norddeutschen Binnenland ordentlich auf die
Tube drückt. Hinter dem kleinen Bodentrog, in dem die Kaltfront liegt,
verschärft sich der Gradient, forciert durch Druckanstieg und Bildung eines
Hochkeils über Südskandinavien. Mit Rechtdrehung des Windes von Nord-Nordwest
auf Nord-Nordost treten an der Küste vermehrt Böen 8-9 Bft, an der Ostsee
exponiert bis 10 Bft auf (laut Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie an
der Ostsee Sonntagfrüh Wasserstände von 1,00 bis 1,30 m über dem mittleren
Stand, vereinzelt sogar kurzzeitige Spitzen von bis zu 1,40 m möglich). Im
Binnenland stehen Böen 7-8 Bft, nur vereinzelt 9 Bft auf der Karte.

Sonntag ... schwenkt der sich immer weiter nach Südwesten in die Länge ziehende
Trog südostwärts über Deutschland hinweg in Richtung Donau, die er bis zum Abend
aber noch nicht erreicht. Derweil setzt sich die Kaltluftzufuhr von Nord nach
Süd munter fort. Am Nachmittag begrüßen wir in der Nordhälfte T850-Werte
zwischen -8 und -12°C - bienvenue Winter, wo warst du in den letzten Wochen und
Monaten? -, während es von der Donau südwärts "nur" -2 bis -5°C sind. Das
Niederschlagsgebiet aus dem Norden arbeitet sich bis zur Mitte voran, wobei sich
die Schneefallgrenze zwischen 200 und 400 m einpendelt. Da und dort kann es auch
mal weiter runter nass schneien oder schneeregnen. Ansonsten darf man die
fortgeschrittene Jahreszeit und den damit schon recht hohen Sonnenstand trotz
massiver KLA nicht vernachlässigen (Stichwort Gegenstrahlung), d.h. die
Schneegrenze, also die Höhe, ab der sich tatsächlich eine Neuschneeauflage
bildet, ist bei 400 bis 600 m anzusiedeln. Es fällt auf, dass der neueste Lauf
von ICON (12 UTC) die 12-stündigen Niederschlagsraten um 1 bis 3, lokal bis zu 5
mm zurückgerechnet hat, was sich natürlich auch auf die Neuschneeauflage
niederschlagen würde. Demnach könnte man jetzt noch im Harz, im Thüringer Wald
und im Erzgebirge von rund 5 cm, in exponierten Staulagen bis zu 10 cm, sonst
von 1 bis 5 cm Neuschnee ausgehen.
Abgesetzt von den Regen- und Schneefällen in der Mitte setzt auch im äußersten
Süden (an den Alpen durch Stau unterstützt) Niederschlag ein. Aufgrund des
späten Eintreffens sinkt dort die Schneefallgrenze erst allmählich, sprich am
späten Nachmittag oder Abend auf unter 1000 m ab. Vom Süden in den Norden, wo
die einfließende Kaltluft durch das Überströmen der skandinavischen Gebirge
immer mehr abtrocknet (Rückgang der Taupunkte von anfangs rund 0°C am Morgen auf
-5 bis -10°C am Abend) und zudem noch Absinken vorderseitig eines von
Südskandinavien und der Nordsee vorstoßenden Hochkeils ins Geschehen eingreift.
Folglich lassen nicht nur die Niederschläge nach, von Nord- und Ostsee sowie von
Jütland lockert auch die Wolkendecke immer weiter auf, so dass in der frischen
und klaren Kaltluft noch für einige Stunden die Sonne scheint. Mehr als 4 bis
7°C sind aus der Luftmasse aber nicht herauszuholen. Nicht groß anders sieht es
in den anderen Gebieten aus, die angesichts apostrophierter 2 bis 8°C (nur im
Südosten Bayerns noch mal etwas darüber) einen deftigen Temperatursturz
gegenüber heute zu verdauen haben. In den Hochlagen der Mittelgebirge stellt
sich Dauerfrost ein.
Wäre noch der Wind zu nennen, der an der Ost-Südostflanke des stationären Hochs
(im Zentrum nun etwas über 1055 hPa!) weiterhin aus Nord bis Nordost weht. Dabei
weitet sich das Starkwindfeld aus dem Norden bis in die mittleren Landesteile
aus mit Böen 7 bis 8 Bft, während im Süden keine warnwürdigen Böen auf der Karte
stehen. An der Küste und auf den Inseln sowie in unmittelbar angrenzenden
Binnenland bleibt es zunächst noch stürmisch (8-9, exponiert 10 Bft), bevor mit
Annäherung des o.e. Keils der Gradient auffächert und der Wind merklich
nachlässt.

In der Nacht zum Montag erreicht der Höhentrog nun auch die Donau respektive die
Gebiete südlich davon. Gleichzeitig kommt der nachfolgende Bodenhochkeil bis zur
Mitte voran. Auf seiner Rückseite bzw. rückseitig des Troges greift von der
Nordsee und Dänemark her WLA auf Norddeutschland über (Anstieg T850 auf -8 bis
-5°C). Sie generiert nicht nur mehrschichtige Bewölkung, sondern auch etwas
Niederschlag, der sich von der Küste sowie dem Land zwischen den Meeren ganz
allmählich in die Norddeutsche Tiefebene "reinfrisst". Vor allem im Landesinnern
fällt dabei nicht selten Schnee oder zumindest Schneeregen, örtliche Glätte
inclusive.
Inzwischen verlagern sich die Niederschläge aus der Mitte mehr und mehr in den
süddeutschen Raum, wobei die Schneefallgrenze im Zuge andauernder KLA (Rückgang
T850 auf -5 bis -9°C) bis ganz nach unten sinkt. Der meiste Schnee fällt an den
Alpen, wo ICON gegenüber den Vorläufen aber auch etwas zurückgerudert ist. Für 5
bis 10 cm innert 12 h sollte es aber reichen, in exponierten Staulagen
vielleicht auch etwas mehr. Brauchen tut´s ja keiner so richtig, aber nun. In
den Mittelgebirgen sowie im Alpenvorland reicht es nur für wenige Zentimeter. In
der Mitte und zunächst auch noch im Norden präsentiert sich der Himmel gering
bewölkt oder klar bei vor allem im Bereich des Hochkeils einschlafendem Wind -
in frischer Kaltluft ein idealer Nährboden für Frost, der vielerorts mäßig
(unter -5°C), in den Mittelgebirgen über Schnee punktuell sogar streng (-10°C
oder etwas darunter) ausfällt. Dort, wo Wege und Fahrbahnen noch nicht
abgetrocknet sind, besteht die Gefahr gefrierender Nässe.
Während der Wind im Hochkeil einschläft, legt er weiterhin aus Nordosten kommend
im Süden vorübergehend zu. Allerdings nur so richtig in den Hochlagen, wo
exponiert mit Böen 8-9 Bft zu rechnen ist. Auffrischen tut der auf Nordwest
rückdrehende Wind auch über der Deutschen Bucht bzw. an der Nordseeküste, was
einem in die nördliche Strömung eingelagerten, offensichtlich orografisch
getriggerten Bodentrog geschuldet ist, der von Südskandinavien südwärts
schwenkt.

Montag ... gelangt Deutschland auf der Ostabdachung des umfangreichen
Höhenrückens über dem mittleren Nordatlantik unter eine indifferente, glatt aus
Norden kommende Höhenströmung. Während Hoch KAYWAN trotz leichter Abschwächung
(der Luftdruck im Zentrum sinkt auf unter 1050 hPa) dick und bräsig über dem
Seegebiet südlich Islands verbleibt, wandert der zugehörige Keil von der Mitte
in den Süden des Landes. Im Gegenzug schwenkt der o.e. Bodentrog mit
eingelagerter Okklusion unter Abschwächung vom Norden in die Mitte. Unter dem
Strich ergibt das von Nord nach Süd eine luftdrucktechnische Wellenbewegung (im
Süden und Norden Anstieg, in der Mitte Fall), die sich auch in den
Wettererscheinungen widerspiegelt.
Von Süd nach Nord bedeutet das, dass sich der Schneefall im Süden mehr und mehr
an den Alpenrand bzw. in die Alpen zurückzieht. Ein paar Zentimeter Neuschnee
dürften aber noch zusammenkommen. Von der Mitte greift aber immer mehr die Zone
mit geringer oder überhaupt keiner Bewölkung auf Süddeutschland über, was dort
einen sonnigen aber kalten Wochenstart zur Folge hat. In der Mitte wiederum
werden nach einem vielerorts sonnigen Tagesbeginn die Wolken von Norden her
dichter und es kommt zu schauerartigen Niederschlägen, die bis in tiefe Lagen
als Schnee fallen können. Die Intensität lässt im Tagesverlauf aber
kontinuierlich nach, weil die anfangs noch unterstützend wirkende WLA immer mehr
in die Knie geht. Tja, und dann wäre da noch der Norden, der von Norden her nun
wieder in den Genuss etwas kälterer (T850 um -8°C) aber auch trockenerer Luft
kommt. Schnee und Regen ziehen langsam nach Süden ab und die Wolkendecke reißt
auf, was vor allem den Küstenregionen sowie SH einige Sonnenstunden beschert.
Der Wind spielt keine große Rolle mehr, einzig im Süden BWs zeigt sich die Bise
noch längere Zeit bissig mit Böen 7 Bft, in freien und höheren Lagen 8 bis 9
Bft. Ziemlich dünn sieht es bei den Tagestemperaturen aus, die landesweit im
einstelligen Bereich bleiben zwischen gerade mal 1 oder 2°C im südlichen
Alpenvorland und bis zu 9°C im legendären Nordwestdreieck
Emden-Oldenburg-Meppen. Oberhalb 700-800 m herrscht Dauerfrost.

In der Nacht zum Dienstag kippt die Höhenströmung auf Nord-Nordost, wobei sie
zunehmend antizyklonale Konturen annimmt. Bodennah baut sein ein neuer Keil auf,
der vom weiterhin wenig bis gar nicht beweglichen Hoch bis nach Mitteleuropa
gerichtet ist. In der Mitte fallen die letzten Schauer ebenso zusammen wie am
Alpenrand, wo jeweils noch etwas Restbewölkung übrigbleibt. Ansonsten zeigt sich
der Nachthimmel vielerorts gering bewölkt oder klar. Von ganz wenigen Ausnahmen
abgesehen (Küste mit auflandigem Wind) tritt leichter bis mäßiger, am Erdboden
insbesondere im Süden auch strenger Frost auf.

Dienstag ... dauert die Blockierung durch das kräftige Atlantikhoch nebst Keil
bis nach Mitteleuropa an. Das bedeutet vergleichsweise ruhiges, antizyklonal
geprägtes aber kühles Endmärzwetter. Zwischen 800 und 700 hPa etabliert sich
eine markante Absinkinversion, unter der sich tagesgangbedingt Quellungen
bilden. Gerade im Osten und in der Mitte führt das zu einem wolkigen bis stark
bewölkten Wettercharakter. Auch im Norden und Nordwesten nimmt die Bewölkung mit
Annäherung einer Warmfront zu, allzu viel Regen/Nieselregen fällt aber nicht -
wenn überhaupt. Ansonsten eine Mischung aus Sonne, lockeren Wolken,
Höchsttemperaturen von 3 bis 9°C, am Rhein und seinen Nebenflüssen örtlich bis
zu 10°C und ein an der See auflebender, wohl aber nicht warnwürdiger westlicher
Wind.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle simulieren die Entwicklung ähnlich. Auffallend ist, dass ICON von 12
UTC die Niederschläge in der kommenden Nacht von der Ostsee her etwas später
reinkommen lässt als in den Läufen zuvor. Außerdem sind die Mengen etwas
geringer.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann