Thema des Tages

05-04-2020 08:50

Alpines Pumpen

Die Berg- und Talwind-Zirkulation in Gebirgen ist häufig Teil eines
größeren Kreislaufs, denn in der Höhe bildet sich eine dem Berg- und
Talwind entgegengesetzte Ausgleichsströmung. Der gesamte Kreislauf
wird auch als "Alpines Pumpen" bezeichnet.


In Gebirgen entstehen - vor allem an windschwachen Schönwettertagen
in der wärmeren Jahreszeit Windsysteme mit regelmäßigem,
tagesperiodischem Wechsel der Richtung. Im Thema des Tages vom
28.03.2020
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/3/28.html ) haben
wir uns bereits mit einem wichtigen Teilglied des Berg- und
Talwindsystems beschäftigt, den Hangwinden. Angetrieben durch die
Sonneneinstrahlung steigt wärmere und damit leichtere Luft an den
Hängen der Berge auf und es entsteht der Hangaufwind. Die Luft kühlt
sich beim Aufsteigen ab, sinkt über der Mitte des Tals wieder ab und
eine geschlossene Hangwind-Zirkulation entsteht.

Am Talboden werden diese Hangwinde vom Talwindsystem überlagert.
Dieser Effekt lässt sich damit erklären, dass in den Tälern ein
deutlich geringeres Luftvolumen erwärmt werden muss als im
angrenzenden Flachland, beispielsweise dem Alpenvorland. Damit steigt
die Temperatur auch deutlich schneller an. Durch die stärkere
Erwärmung am Tag, respektive durch die stärkere Abkühlung während der
Nacht, entsteht ein Druckunterschied zum umliegenden Vorland.
Tagsüber bildet sich über den Bergen ein Hitzetief, nachts ein
Kältehoch. Dieser wechselnde Druckunterschied erzeugt den Tal- und
Bergwind (siehe obere Abbildung).
Das Hitzetief saugt dabei die Luft vom Flachland an. Dabei wirken die
Täler wie Strömungskanäle - besonders jene, welche zum Hitzetief hin
ausgerichtet sind. Der Talwind ist zum Teil hochreichend und
überflutet teils die niedrigeren Voralpengipfel, welche quer zur
Strömung liegen. In großen Tälern kann die Strömung kräftig werden,
besonders bei Verengungen, wo der Düseneffekt die Luft zusätzlich
beschleunigt (siehe untere schematische Abbildung b und c).

Wann der Talwind einsetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Je
schneller und je stärker die Erwärmung erfolgt, d.h. je rascher sich
die Druckdifferenz zum Vorland aufbaut, umso kürzer ist die Zeitdauer
bis zum Einsetzen des Talwindes. Beschleunigend wirken eine
ungehinderte Einstrahlung und eine relativ labile Luftschichtung.
Auch die Breite des Tals hat einen wesentlichen Einfluss darauf.
Zusätzlich beeinflussen die Richtung des Höhenwindes und der
überregionale Druckgradient, wann der Talwind einsetzt.
Typischerweise passiert dies um die Mittagszeit. Er erreicht eine
Mächtigkeit von 300 bis 600 m über Talgrund sowie eine Stärke von
mehreren Metern pro Sekunde. Reduzieren Wolken die Einstrahlung in
den Alpen, verzögert sich das Einsetzen des Talwindes. Das können zum
Beispiel Cirren, frühe Cumuluswolken mit Ausbreitungen oder
Wolkenreste von Gewittern vom Vortag sein. Auch schneebedeckte Hänge,
welche die Sonnenstrahlen größtenteils reflektieren, wirken
verzögernd auf den Talwind.

Der Kernschwerpunkt des Hitzetiefs liegt über dem Alpenhauptkamm,
welches sich oft in drei Kernbereiche aufteilen lässt. Ein Teilkern
liegt in Österreich über den zentralen und westlichen Hohen Tauern.
Ein weiterer findet sich in der Region vom Arlberg über das Vinschgau
bis ins Oberengadin und ein anderer im Wallis bis ins nördliche
Tessin.

Das Talwindsystem kann durch großräumigere Druckkonstellationen
modifiziert sein. Bei Südüberdruck zum Beispiel verschiebt sich das
Zentrum des Hitzetiefs einige Kilometer Richtung Norden. Gleichzeitig
nimmt die Druckdifferenz vom Hauptkamm zur Südseite zu, während sie
zur Nordseite hin abnimmt. So verstärkt sich bei Südüberdruck auf der
Südseite der Talwind, während er auf der Nordseite schwächer wird.
Umgekehrt führt Nordüberdruck zu stärkerem Talwind am Alpennordhang.
Auf der Südseite nimmt dann der Talwind ab. Ist das Hitzetief nur
schwach, wie z.B. im Frühling oder wenn die Hochalpen in Wolken sind,
genügt schon ein kleiner Nord-Süd-Druckunterschied und die Talwinde
blasen in die entgegengesetzte Richtung. Neben der großräumigen
Druckverteilung kann auch eine heranziehende Front, welche im
Flachland schneller vorankommt, die Druckunterschiede abschwächen
oder ganz aufheben und so die Talwinde unterbrechen. Werden die
Druckunterschiede zu groß, können die Talwinde ihre Richtung umkehren
und Föhnwinde setzen ein.

Kommen wir zurück zum "Alpinen Pumpen" und der oben erwähnten
Ausgleichsströmung.
Die im Hitzetief aufsteigende Luft führt in höheren Schichten zu
einem Anstieg des Luftrucks über das Niveau über dem Vorland auf
gleicher Höhe. Dadurch entsteht in diesen Schichten eine
Ausgleichsströmung vom Zentrum der Alpen zum Vorland hinaus. Die
Kompensationsströmung erfolgt mit geringer Geschwindigkeit oberhalb
der Gipfel. Vor allem im Mündungsgebiet der großen Bergtäler saugt
der Talwind umliegende Luft an; nicht nur seitlich, sondern auch von
oben herab. Dort entsteht ein großflächiger Abwind, der recht kräftig
werden und stellenweise 1 m/s bis sogar 3 m/s erreichen kann. Die
Abwindzone verläuft parallel dem Gebirgsrand entlang, ist 10 km bis
30 km breit und im Bereich von Talmündungen ausgeprägter. Wenn die
Talwinde abflauen, nehmen auch die Abwinde ab.

In der Nacht drehen sich wie beim Hangwindsystem die Verhältnisse um.
Die Luft über den Hochebenen und den Berghängen des Gebirges kühlt
sich durch die stärkere Ausstrahlung schneller ab als die Luft über
dem Tal in vergleichbarer Höhe. Inneralpin entsteht das Kältehoch.
Die nun kühlere, dichtere und somit schwerere Luft strömt die Hänge
hinab und fließt als Bergwind ins angrenzende Alpenvorland und sorgt
dort für Frischluftzufuhr (siehe Abbildungen a und d).


MSc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.04.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst