Thema des Tages

30-05-2020 08:20

Festgefroren in der Arktis - ein Update

Auf der MOSAiC-Expedition wird seit fast 8 Monaten das Klimasystem
der zentralen Arktis erkundet. Die Corona-Pandemie stellt dieses
Vorhaben aber vor große Herausforderungen.

Im vergangenen Dezember und Januar haben wir in der 3-teiligen Reihe
"Festgefroren in der Arktis" die MOSAiC-Expedition
("Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic
Climate") vorgestellt (zum Nachlesen sind die Beiträge am Ende des
Tagesthemas verlinkt). Kurz zusammengefasst ist das Ziel dieser
einjährigen Expedition, das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre,
Meereis und Ozeanströmungen sowie die regionalen und globalen Folgen
des arktischen Klimawandels besser zu verstehen (siehe Teil 1). Die
Expedition macht sich die Transpolardrift (Meereisströmung von
Sibirien nach Grönland, siehe Teil 2) zu Nutze, die es ermöglichte,
auch im Winter in die eisbedeckte Polregion zu gelangen. Festgefroren
an einer mächtigen Eisscholle driftete das Forschungsschiff
"Polarstern" seit Oktober allein mit der Kraft der Natur täglich
mehrere Kilometer durch die Zentralarktis.

Im 3. Teil haben wir u.a. den immensen logistischen Aufwand sowie die
vorab präzise durchgeplanten Abläufe der Expedition beschrieben. Doch
seitdem ist Einiges passiert...!
Als die Wissenschaftler/innen und Crewmitglieder des dritten
Fahrtabschnitts am 27. Januar in Tromsö ihre Fahrt mit dem Eisbrecher
Richtung Polarstern antraten, ahnten sie nicht, welch lange und
ungewisse Zeit sie im arktischen Eis verbringen würden. Damals
glaubte man noch, dass das vorherige Team 2 - begleitet von der
permanenten Dunkelheit der Polarnacht - den strapaziösesten Teil der
Expedition durchleben würde. Doch dann wirbelte die weltweite
Corona-Pandemie die Abläufe der MOSAiC-Expedition gehörig
durcheinander. Für fast jede Widrigkeit existierten Alternativ- und
Notfallpläne, eine Pandemie dieses Ausmaßes konnte man allerdings
nicht voraussehen.

Internationale Grenzschließungen führten mitunter dazu, dass der für
Anfang April geplante Personalaustausch nicht stattfinden konnte.
Obwohl die Teilnehmer an Bord der Polarstern wussten, dass es das
SARS-CoV-2-Virus nie zu ihnen in die Arktis schaffen würde, stand für
sie eine ungewisse Zeit im Eis bevor. Wie unser
Vorhersage-Meteorologe Robert Hausen die körperlich und mental
zunehmend kräfteraubende Situation auf der Polarstern erlebt(e),
können Sie übrigens in einem Interview vom 28. April nachlesen (siehe
Link unten).

Man musste schließlich die geplanten sechs Fahrtabschnitte auf fünf
verringern, was für Team 3 etwa die doppelte Verweildauer im Eis zur
Folge hat. Die Teilnehmer des vierten Fahrtabschnitts reisten derweil
nach Bremerhaven, wo sie sich zunächst isoliert in einem extra
angemieteten Hotel einer 17-tägigen Quarantäne und mehreren
Corona-Tests unterziehen mussten. Ein Einschleppen des Virus muss
nämlich unter allen Umständen verhindert werden, da dies auf der
Polarstern ohne ausreichende Isolierstationen verheerende Folgen
haben würde.

Da noch die Tatsache dazu kam, dass das in diesem Jahr sehr
dynamische Eis den Bau einer stabilen Landebahn verhinderte, konnte
der Personalwechsel nicht per Flugzeug erfolgen. Deshalb machten sich
am 18. Mai die 56 Wissenschaftler/innen, 37 Crewmitglieder und 14
Tonnen Verpflegung mit den beiden Schiffen "Sonne" und "Maria S.
Merian" auf den Weg zur Eisgrenze nahe Spitzbergen. Gleichzeitig
mussten die Forscher/innen von Team 3 einen Großteil ihrer Messgeräte
abbauen und das Driftexperiment unterbrechen. Erstmals seit Anfang
Oktober verließ vor etwa zwei Wochen die Polarstern ihre Eisscholle
und kämpft sich seitdem mit der Kraft der Maschinen Richtung Süden.
Doch die Fahrt durch zweijähriges Meereis ist sehr beschwerlich und
dauert länger als erhofft - eine Situation, die den Teilnehmern schon
von der Anreise bekannt war, die ebenfalls zwei Wochen länger als
geplant dauerte. Vorübergehend mussten sogar die Maschinen abgestellt
werden, da das dicke Eis ein Durchkommen nahezu unmöglich machte.

In einigen Tagen wird die Polarstern in einen Fjord vor Spitzbergen
einfahren, wo sie vom neuen Team bereits sehnlichst erwartet wird.
Nach dem Personal- und Materialwechsel fährt die Polarstern mit dem
neuen Team wieder zurück zum verlassenen Forschungscamp. Da in diesem
Frühjahr die Eisdrift überdurchschnittlich schnell ablief, hat man
sich dazu entschlossen, die dort noch übrig gebliebenen Messgeräte
abzubauen, um eine weiter nördlich gelegene Eisscholle zu
"besiedeln". Dies ermöglicht den Wissenschaftlern der letzten beiden
Fahrtabschnitte, wie geplant bis in den Herbst hinein im Packeis zu
forschen. Ihnen stehen hoffentlich spannende und erlebnisreiche
Wochen in der Arktis bevor. Es bleibt ihnen zu wünschen, dass ihre
Zeit im Eis planmäßig verläuft, sodass die bisher einzigartige
Forschungsexpedition im Herbst ein gutes und erfolgreiches Ende
nehmen kann.

Währenddessen werden in etwa drei Wochen endlich die Wissenschaftler
und Crewmitglieder des dritten Fahrtabschnitts in Bremerhaven
einlaufen. Damit kommen auch sie in der "neuen Normalität" der
europäischen Lebensweise an. Während der Zeit des "Lockdowns"
verbrachten sie allesamt auf dem Schiff mitten im arktischen Meereis
- fernab jeglicher Zivilisation. Nur aus den täglichen TV-Nachrichten
erfuhren sie von den weitreichenden Folgen der Corona-Pandemie, von
steigenden Infektionszahlen und Toten, von verwaisten Innenstädten
durch Ausgangsbeschränkungen und von "Social distancing". Nach einem
monatelangen Aufenthalt in ihrer entschleunigten und kleinen Welt
müssten sich die Expeditionsteilnehmer ohnehin erst wieder an die
lebendige Zivilisation gewöhnen. Nun müssen sie sich zusätzlich in
einem öffentlichen Leben mit Abstandsregeln und Schutzmasken
zurechtfinden. Dafür wird die Freude, ihre Familien und Freunde
wieder zu sehen, umso größer sein.

Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.05.2020

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