Thema des Tages

14-09-2020 07:20

Von der Messung der Lufttemperatur

Wenn es um Temperaturwerte oder sogar Temperaturrekorde geht,
erreichen uns Meteorologen immer wieder Kommentare, dass die
Temperatur im Garten der Familie Mustermann doch eigentlich viel
höher war als die offiziell gemessene. Warum kommt es zu solchen
Unterschieden bei der Temperaturmessung?


Im aktuellen Spätsommer kommt Deutschland noch einmal richtig ins
Schwitzen. Bereits am gestrigen Sonntag, dem 13.09.2020, stiegen die
Tageshöchstwerte im Südwesten auf bis zu 30 Grad Celsius. An einigen
Stationen wurde die 30-Grad-Marke sogar geknackt. Spitzenreiter war
die Wetterstation im rheinland-pfälzischen Kaiserslautern mit 31,5
Grad. Deutlich kühler fiel die Temperatur hingegen im
wolkenverhangenen Norden aus. So wurden beispielsweise in Wagersrott
in Schleswig-Holstein lediglich 18,6 Grad gemessen.


Allerdings gibt es bei der Veröffentlichung von Temperaturwerten -
insbesondere bei Rekorden - auch immer wieder verwunderte Reaktionen
aus der Öffentlichkeit. Teilweise weichen diese nämlich recht
deutlich von den höheren Temperaturen ab, die Max und Erika
Mustermann von ihrem handelsüblichen Thermometer im Garten, an der
Hauswand oder im Auto ablesen.


Aber wie kann es zu solch deutlichen Unterschieden kommen? Wie misst
man die Temperatur denn überhaupt "richtig"?


Offiziell bestätigte Temperaturwerte in den Datenbanken der
weltweiten Wetterdienste müssen an Wetterstationen gemessen worden
sein, die international festgelegten Standards entsprechen, um
aktuell wie auch in der Vergangenheit global vergleichbar zu sein.
Zunächst braucht man einen geeigneten Standort für die Messung. Dabei
sollten die Wetterdaten repräsentativ für die Umgebung sein und die
Station beispielsweise nicht in einem lokalen ?Kälteloch? liegen. Am
besten eignet sich hierfür ein relativ freier Platz mit genügend
Abstand zu Gebäuden oder hohem Bewuchs auf einem für die Region
natürlichen Untergrund (in der Regel eine kurz gehaltene Grasfläche).



Eine der größten Herausforderungen bei der Temperaturmessung besteht
für die Stationsorte sicherlich in der Einhaltung dieser Richtlinien
über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hinweg. Denn ein
Höchstwert kann nur als solcher anerkannt werden, wenn vergleichbare
Temperaturwerte an einem bestimmten Standort aus der Vergangenheit
vorliegen.


Gemessen wird die Lufttemperatur immer in zwei Metern Höhe über
Grund. Die Messung erfolgt jedoch nicht in der prallen Sonne, sondern
abgeschattet mit einem modernen, aus Kunststoff gefertigten, gut
ventilierten Lamellen-Strahlungsschutz. Dieser hat an den
automatisierten Standorten die sogenannte ?Englische Hütte? ersetzt.
Letztere ist eine weiß gestrichene Holzhütte mit Außenwänden aus
Lamellen und kommt nur noch an vereinzelt mit Personal besetzten
Referenzstationen zum Einsatz.


Zur Messung der Temperatur können verschiedene Thermometer verwendet
werden, wobei diese selbstverständlich auch strengen Richtlinien
unterliegen und regelmäßig gewartet werden müssen. Die klassischen
?Englischen Hütten? sind meist mit Flüssigkeitsthermometern
ausgestattet, die allerdings regelmäßig (mindestens stündlich) von
Fachpersonal abgelesen werden müssen. Für die Fernmessung oder den
Einsatz in automatischen Messdatenerfassungsanlagen eignen sich die
Flüssigkeitsthermometer jedoch nicht. Automatisierte Wetterstationen
besitzen daher elektronische Sensoren, welche die Lufttemperatur
kontinuierlich aufzeichnen.


Standardmäßig werden die Stationen in regelmäßigen Abständen
gewartet, zudem durchlaufen deren Daten eine Qualitätsprüfung. Wird
nun an einer Station ein neuer Temperaturrekordwert gemessen, so wird
die Anlage vor der offiziellen Bestätigung des Temperaturrekordes
noch einmal genau auf ihre korrekte Funktionsweise und die Wahrung
der örtlichen Umgebungsbedingungen geprüft. Anschließend geht der
Temperaturwert in die global vernetzten Datenbanken ein und kann wie
auch alle anderen Messdaten von den Wetterdiensten weltweit abgerufen
werden.


Im Vergleich zu gestern legt die Temperatur am heutigen Montag und am
morgigen Dienstag noch "eine Schippe drauf": Vor allem in einem
breiten Streifen vom Westen und Südwesten bis in den Osten steigen
die Temperaturen verbreitet auf Werte über 30 Grad an. Lokal sind in
den Flussniederungen des Südwestens sogar bis zu 34 Grad möglich. Der
Septemberrekord mit 36,5 Grad, der sowohl am 03. September 1911 an
der Sternwarte in Jena (Thüringen) als auch am 19. September 1947 im
Bühlertal (Baden-Württemberg) gemessen wurde, sollte damit aber außer
Reichweite sein. Das an der geschützten Hauswand angebrachte
Thermometer von Max und Erika Mustermann wird in der prallen
Nachmittagssonne sicher aber auch Temperaturen jenseits der 34 Grad
anzeigen können.


MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.09.2020

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