Thema des Tages

13-10-2020 09:20

Die Bannerwolke in der Wissenschaft - Teil 2

Nachdem in "Die Bannerwolke in der Wissenschaft - Teil 1" auf die
wissenschaftliche Geschichte der Bannerwolke eingegangen wurde, soll
im heutigen Thema des Tages der aktuelle Stand der Forschung
betrachtet werden. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der Arbeit
um Prof. Dr. Volkmar Wirth an der Johannes Gutenberg-Universität in
Mainz.

Bannerwolken treten häufig im Lee von hochaufragenden Berggipfeln
oder an scharfen Bergrücken auf und geben dem Beobachter den
Eindruck, als würde der obere Teil des Berges rauchen. Selbst an
wolkenfreien Tagen ist ihre Beobachtung möglich. Das Vorkommen der
Bannerwolke beschränkt sich allerdings nicht nur auf Berge. Paul
Cleves konnte im Jahr 2013 eine Bannerwolke am 262 Meter hohen
Bitexco Financial Tower in Ho Chi Minh Stadt (Vietnam) fotografisch
festhalten. Da Passanten aufgrund der Ähnlichkeit der Wolke mit einer
Rauchfahne dachten, das Gebäude würde brennen, wurde die örtliche
Feuerwehr alarmiert.


Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Volkmar Wirth beschäftigt sich an der
Mainzer Universität seit mehreren Jahren mit Bannerwolken und der
Erforschung ihres Entstehungsmechanismus. Die Faszination mit der
Bannerwolke rührt laut Wirth daher, dass sie auf den ersten Blick der
meteorologischen Intuition widerspricht: Wird ein Luftpaket im Luv
eines Berges zum Aufsteigen gezwungen, bildet sich genau dort auch
eine Wolke. Bei der Bannerwolke ist die Luvseite, also die Seite der
Anströmung, jedoch wolkenfrei. Sie tritt ausschließlich im Lee des
Berges auf der windabgewandten Seite auf.


Getrieben von dieser Faszination analysierten Volkmar Wirth und
Kollegen im Jahr 2012 unter Berücksichtigung der Definition nach
Schween und Kollegen (2007; siehe "Die Bannerwolke in der
Wissenschaft - Teil 1" vom 23.09.2020 unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/9/23.html)
systematische Beobachtungen von Bannerwolkenereignissen an der
Zugspitze und trugen somit wesentlich zum Verständnis der
Bannerwolken-Klimatologie bei. Dabei wurden an 797 Tagen insgesamt
170 Bannerwolkenereignisse gezählt. Das Hauptaugenmerk lag dabei
unter anderem auf der Zeitskala, auf der Bannerwolken existieren.
Diese beläuft sich im Schnitt auf 40 Minuten. Tendenziell treten
Bannerwolken häufiger in Sommermonaten auf. Hier werden
durchschnittlich 8 bis 12 Ereignisse pro Monat gezählt. In den
Wintermonaten sind es durchschnittlich lediglich 2 Ereignisse.


Daraufhin folgten numerische Simulationen von Bannerwolken mithilfe
eines Modells für Grobstruktursimulationen (engl. "Large Eddy
Simulation"). Dabei wurde meist eine dreidimensionale Strömung um
eine idealisierte Orografie in Form einer Pyramide oder eines
zweidimensionalen Bergkamms betrachtet.


Reinert und Wirth diskutierten im Jahr 2009 zunächst die bis dahin in
der Vergangenheit veröffentlichten Entstehungshypothesen und fassten
diese in drei Kategorien zusammen. Im Jahr 2013 untersuchten Voigt
und Wirth schließlich diese drei Kategorien mithilfe systematischer
numerischer Modellierungen: Sowohl die adiabatische Expansion in
einem lokalen Druckminimum im Lee des Berges (Stichwort:
Bernoulli-Effekt) als auch die Entstehung durch Mischungsnebel waren
ihren Berechnungen zufolge vernachlässigbar bei der Bildung von
Bannerwolken. Als weitaus wichtigster und auch hinreichender
Mechanismus für deren Entstehung wurde die vertikale Hebung in einem
Leewirbel bei schwacher vertikaler Stabilität identifiziert.


Schappert und Wirth nahmen im Jahr 2015 daraufhin die verschiedenen
Wege der Luftpakete, die durch die Bannerwolke strömen und deren
Entstehung bedingen, unter die Lupe. Diese Luftpakete wiesen zwar
höchst komplexe Trajektorien auf, ließen sich jedoch in zwei Klassen
einteilen: Zum einen gibt es langsame Luftpakete, die aus niedrigen
Höhen stammen und den Berg seitlich umströmen, um schließlich in
einer bogenförmigen Wirbelstruktur langsam spiralartig aufzusteigen.
Diese starke Hebung des Luftpakets im Bogenwirbel sorgt für
adiabatische Expansion und folglich für die Kühlung der leeseitigen
Luft, was letztlich zur Kondensation des Wasserdampfes und zur
Bannerwolkenbildung führt. Zum anderen existieren schnellere
Luftpakete, die aus etwas höher gelegenen Luftschichten stammen, eher
den direkten Weg in die Bannerwolke suchen und folglich nicht allzu
stark gehoben werden.


Besonders bei der Betrachtung von Stromlinien eines zeitlich
gemittelten Windfeldes kommt das spiralförmige Aufsteigen gut zur
Geltung und ist in der Abbildung unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/10/12.html
dargestellt. Dort dargestellt sind die Stromlinien ausgewählter
Luftpakete um einen idealisierten Berg in Form einer Pyramide, wobei
alle Luftpakete ursprünglich die gleiche Startgeschwindigkeit
aufweisen. Dabei fällt auf, dass es durchaus "schnelle" Luftpakete
(rote Stromlinien) gibt, die die Bannerwolke (semi-transparente
Schattierung im Lee des Gipfels) auf "direktem Weg" erreichen,
während andere (grüne und blaue Stromlinie) wiederum für eine gewisse
Zeit im Leewirbel gefangen werden, nur allmählich aufsteigen und
somit eine deutlich längere Laufzeit aufweisen.


Weitere Untersuchungen von Prestel und Wirth beschäftigten sich 2016
mit der Bannerwolkenbildung unter verschiedenen
Strömungsverhältnissen und dem Einfluss der Orografie auf deren
Entstehung. Dabei analysierten sie unter anderem auch die Veränderung
des Wirbels auf der windabgewandten Seite der Pyramide und stellten
eine geringere Hebung auf der windzugewandten Seite fest, was
wiederum die Wolkenbildung im Luv unterdrückt und die Bildung einer
Bannerwolke, die ausschließlich im Lee des Berges auftritt,
begünstigt (ohne Abbildung).


Selbstverständlich gibt es viele weitere interessante Fragen rund um
das Thema Bannerwolken, mit dem sich die Wissenschaftler an der
Johannes Gutenberg-Universität beschäftigen. Bereits im Dezember
startet ein neuer Doktorand, der die Bannerwolkenbildung mit
realistischer Matterhorn-Orografie genauer erforscht. Dennoch wird
alle wissenschaftliche Erkenntnis laut Wirth auch in Zukunft die
Faszination beim Betrachten dieses eher seltenen Naturphänomens
unberührt lassen.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.10.2020

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