Thema des Tages

07-11-2020 08:50

Autochthone Witterung

Im heutigen Thema des Tages wird ein meteorologischer Begriff näher
beleuchtet, der zwar kaum mehr gebräuchlich ist, mit dem aber
bestimmte Zusammenhänge gut erklärt werden können.

Muss man für die Erstellung einer Wetterprognose unbedingt ein
ausgebildeter Meteorologe sein? Natürlich nicht, denn mit einer
ausgeprägten Beobachtungsgabe und einem analytischen Verständnis kann
im Prinzip jeder bei ausgewählten, ganz bestimmten Wetterlagen die
zukünftige Entwicklung vorhersagen. Doch welche Wettersituationen
sind dafür prädestiniert?

Voraussetzung dafür sind relativ ruhige und störungsarme, meistens
hochdruckgeprägte Wetterlagen. In der Meteorologie verwendet man
dafür den Fachbegriff "antizyklonal", das Gegenteil von "zyklonalem",
d.h. tiefdruckbestimmtem Wetter. Bei Hochdrucklagen gibt es in den
meisten Fällen nämlich keinen Luftmassenaustausch und außerdem keine
wesentlichen meteorologischen "Überraschungen".

Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Wetterlage. Diese ist bestimmt
durch ein umfangreiches Hochdruckgebiet, dessen Schwerpunkt sich
zunehmend nach Südosteuropa verlagert. Allerdings reicht diese
Hochdruckrandlage noch aus, um auch bei uns von einer
hochdruckgeprägten Wetterlage zu sprechen. Bei einer solchen
störungsarmen Situation wiederholt sich das Wetter von Tag zu Tag mit
nur kleinen Abweichungen. Beispielsweise wird sich in den Nächten
immer in bestimmten Regionen Nebel oder Hochnebel bilden, der
tagsüber ein weitgehend vorhersagbares Auflösungsverhalten aufweist.
Die Bewohner von solchen für Nebel- und Hochnebel anfälligen Gebieten
(z.B. Bodensee, Donau, Alpenvorland, Täler der Mittelgebirge) wissen
das und können basierend auf deren Beobachtungen lokale Vorhersagen
mit einer durchaus hohen Trefferwahrscheinlichkeit erstellen. Doch
nicht nur der Nebel ist ein "Wiederholungstäter". Auch lokale
Windsysteme folgen häufig einem ähnlichen Muster. So bildet sich an
den Küsten zu bestimmten Tageszeiten ein Land-See-Wind-Muster heraus
und im Bergland kommt es zu einem Berg- und Talwindsystem.

Eine solche durch lokale und regionale Einflüsse bestimmte Wetterlage
kann auch als "autochthone Witterung" bezeichnet werden. Der Begriff
"autochthon" ist wahrscheinlich vielen aus den Sozialwissenschaften
bekannt, denn er wird oft im Zusammenhang mit der Beschreibung von
Völkern, Religionen und Sprachen verwendet. Die Bezeichnung stammt
aus dem Altgriechischen und kann in etwa mit "einheimisch",
"eingeboren" oder "hier entstanden" beschrieben werden. In der
Geologie ist beispielsweise ein autochthones Gestein ein solches, das
an seinem Fundort auch entstanden ist. In der Meteorologie ist dieser
Begriff daher folgerichtig für Wetterverhältnisse verwendbar, die
stark regionalen Einflüssen unterliegen und kaum äußere Störungen
aufweisen. Es kommt dabei zu definierten Tagesgängen von Temperatur,
Luftfeuchte und Strahlung, die die Randbedingungen für die
meteorologischen Erscheinungen setzen.

Natürlich gibt es auch den gegensätzlichen Begriff "allochthon", der
in etwa mit "fremdbürtig" zu übersetzen ist. Dabei werden nicht durch
kleinräumige, sondern durch großräumige Luftströmungen die
meteorologischen Pflöcke eingeschlagen. Meistens sind dies
"zyklonale", also tiefdruckgeprägte Wetterlagen mit Frontdurchgängen
und dem damit verbundenen Luftmassenaustausch. Für den Laien sind
diese Wettersituationen im Gegensatz zu den sich wiederholenden
Wettervorgängen kaum vorhersagbar. Man benötigt dafür nämlich eine
umfassendere Datengrundlage und physikalische/mathematische
Prognostik, die mit einfachen Beobachtungen in den meisten Fällen
nicht ersetzt werden können.

Die autochthone Witterung bleibt uns vor allem im Südosten und Osten
des Landes auch in den nächsten Tagen erhalten. Das Hochdruckgebiet
über Osteuropa schwächt sich zwar etwas ab, der Randbereich ragt aber
weiterhin nach Mitteleuropa. Etwas anders ist die Situation im
Südwesten und Westen Deutschlands, wo zeitweise der Einfluss einer
Tiefdruckzone über dem Westen des Kontinents zu spüren ist. Daher ist
dort mit generell dichterer Bewölkung und zeitweise auch etwas Regen
zu rechnen, während in den anderen Regionen weiterhin die Diskrepanz
zwischen den nebligen und sonnigen Gebieten bestehen bleibt.
Allerdings ist noch erwähnenswert, dass die Sonne auch dort immer
mehr an Raum verlieren wird und zur Wochenmitte nur mehr am höheren
Alpenrand für längere Zeit scheinen kann. Selbst solche langsamen
meteorologischen Entwicklungen weichen schon deutlich von der reinen
Persistenzvorhersage ab und benötigen folgerichtig meteorologische
Modelle als prognostische Grundlage.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.11.2020

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