Thema des Tages

12-11-2020 08:50

Das "Zugvogeltum" in Zeiten des Klimawandels


Den Winter in wärmeren Gefilden verbringen? Für Zugvögel keine Frage!
Wie sich der Klimawandel dabei ins Spiel bringt, lesen Sie im
heutigen Thema des Tages.


Die Sonne macht sich in diesen Tagen ziemlich rar, wie bereits im
Thema des Tages vom vergangenen Dienstag geschrieben wurde. Ok, ein
paar wenige Regionen konnten einige Sonnenstunden einheimsen,
mancherorts kennt man die Sonne aber - überspitzt gesagt - beinahe
nur noch aus Erzählungen. Da möchte man sich doch am liebsten Flügel
umschnallen und wie ein Zugvogel in den warmen, sonnigen Süden
steuern.

Mittlerweile sind bereits die meisten Zugvögel unterwegs in ihr
Winterquartier oder schon dort angekommen. Ihr Antrieb zu dieser
anstrengenden Reise ist bekanntermaßen die Aussicht auf ein
reichhaltiges Nahrungsangebot. Denn mit Würmern, Insekten, Fröschen
und was Zugvögeln sonst noch so alles ein lechzendes "Mmmhhh..."
entlockt, sieht es im Winter ziemlich schlecht aus ? zumindest was
die gemäßigten und arktischen Breiten auf der Nordhalbkugel angeht.
Im Frühjahr wendet sich das Blatt dann aber wieder und die Zugvögel
machen sich auf die zum Teil mehrere 1000 km lange Reise nach Norden
zurück in die Heimat, um dort schließlich zu brüten.

An dieser Routine wird durch den Klimawandel mehr und mehr gerüttelt.
Durch ihn haben sich in den letzten Jahrzehnten die Rückflugzeiten
der Vögel weltweit geändert. Sie kehren tendenziell früher in ihre
Brutgebiete zurück. Beispielsweise wurde auf Helgoland zwischen 1960
und 2007 eine um im Mittel knapp sieben Tage frühere Rückkehr der
dort durchziehenden Zugvögel beobachtet. Der Grund hierfür: Durch
insgesamt mildere (Spät-) Winter und wärmere Frühjahre legt auch die
Natur früher los. Das damit verbundene erhöhte und verfrühte
Nahrungsangebot ist natürlich nicht nur auf unsere gemäßigten Breiten
beschränkt, sondern nahezu entlang der gesamten Flugrouten der
Zugvögel zu finden, was von diesen offensichtlich gerne angenommen
wird.

Bei den Wegzugzeiten müsste man nun annehmen, dass durch im Mittel
spätere Wintereinbrüche auch die Zugvögel erst später von dannen
schreiten. Tatsächlich ist in dieser Beziehung aber kein wirklicher
Trend ersichtlich. Zwar zieht mancher Vogel in der Tat später gen
Süden, manch anderer macht sich aber sogar schon früher auf die
Socken. Letzteres konnte vor allem in der Schweiz sowie auf den
Britischen Inseln registriert werden. Ein Erklärungsansatz dieses auf
den ersten Blick paradoxen Sachverhalts ist, dass manche Zugvögel
wohl aufgrund ihrer verfrühten Rückkehr auch wieder früher
aufbrechen, ähnlich der Vegetationsperiode mancher Pflanzen.

Auf Helgoland wurde dagegen beobachtet, dass sich einige Zugvögel
mittlerweile über zwei Wochen länger in ihren Brutgebieten aufhalten
als noch vor etwa 50 Jahren. Diese längere Verweildauer hat
logischerweise zur Folge, dass länger und häufiger gebrütet werden
kann, was einerseits zu einem größeren Bruterfolg, andererseits in
Zukunft aber auch zu einem größeren Konkurrenzkampf nicht nur unter
den Zugvögeln, sondern auch zwischen Zug- und Standvögeln führen
kann. Dadurch könnten Vogelarten aus ihren bisherigen
Verbreitungsregionen zurückgedrängt werden und sich in neuen Gebieten
niederlassen.
Deutlich ausführlichere Informationen zu diesem Thema finden Sie bei
Interesse auf den Seiten des Bildungsservers unter
https://bit.ly/3kpyGIP


Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.11.2020

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