Thema des Tages

14-11-2020 09:20

Ein Weihnachtsbaum im Windkanal


Forscher aus Aachen haben untersucht, wie standfest eigentlich
Weihnachtsbäume sind. Und fanden dabei überraschenderweise Parallelen
zu einem LKW?


In knapp sechs Wochen ist Heiligabend, die ersten Städte haben
bereits in den vergangenen Tagen die Innenstädte mit
Weihnachtsbeleuchtung dekoriert. Da darf natürlich auch ein großer
Weihnachtsbaum nicht fehlen! Ist dieser im heimeligen Wohnzimmer
höchstens dem zwischenmenschlichen Gewitter ausgesetzt, so ist er
draußen zusätzlich der launischen Natur, dem Wind und Wetter
ausgeliefert.

Immer wieder hört man von Unfällen, bei denen die großen Tannenbäume
bei Sturm umfallen (so zum Beispiel schon geschehen in Erfurt,
Landshut, Usingen oder Aachen). Grund genug also, mal unter
kontrollierten Bedingungen zu testen, mit wie viel Gewicht ein
Weihnachtsbaum am Boden verankert werden muss, dachten sich
Wissenschaftler der Fachhochschule Aachen und stellten eine
Nordmanntanne in einen Windkanal. Ein durchaus ungewöhnliches
Experiment, denn normalerweise werden in einem Windkanal Versuche aus
den Bereichen Luft- und Raumfahrt- sowie Automobil- und
Motorradtechnik durchgeführt; also beispielsweise der Luftwiderstand
von Autos oder Flugzeugen untersucht. Ein Tannenbaum hingegen hatte
bis dato noch keinen Weg in den Windkanal gefunden. Umso spezieller
waren die Vorkehrungen, die für den Versuch getroffen worden: Damit
die Tannennadeln nicht überall herumfliegen, wurden sie vorher mit
mehreren Dosen Klarlack fixiert.

Die Wissenschaftler testeten Windgeschwindigkeiten von gut 80 km/h
(Beaufort 9). Dabei wurde gemessen, welcher Staudruck sich bei
unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten aufbaut. Aus diesem
Staudruck lässt sich der sogenannte Widerstandsbeiwert (oder auch
Strömungswiderstandkoeffizient, cw-Wert) ermitteln. Dieser Wert ist
eine dimensionslose aerodynamische Größe zur Angabe des
Strömungswiderstandes bei der Umströmung von Körpern.

Das Ergebnis war ganz im Sinne echter "Weihnachtswissenschaft":
voller Überraschungen. Der Tannenbaum weist einen Widerstandsbeiwert
von etwa 0,8 auf. Sagt Ihnen erstmal nichts? Dann ein kleiner
Vergleich: Das entspricht dem Luftwiderstand eines kantigen LKW, der
ebenfalls einen cw-Wert von 0,8 hat. Ein modernes Auto liegt hingegen
bei 0,3 und ein Pinguin ist mit einem cw-Wert von nur 0,03 besonders
"windschnittig".
Mit einem so "schlechten" Ergebnis hatten die Wissenschaftler nicht
gerechnet, bisher war man von einem wesentlich niedrigeren Wert
ausgegangen ? und entsprechend geringer sind auch die nötigen
Verankerungen der Weihnachtsbäume auf Weihnachtsmärkten bemessen
worden.

Das Versuchsobjekt an der Fachhochschule Aachen war zwar nur 1,20
Meter hoch, die Ergebnisse lassen sich aber auf größere Bäume
hochskalieren. Ein zehn Meter hoher Baum müsste im konkreten Fall mit
zehn bis zwölf Tonnen Gewicht verankert werden, das ist deutlich mehr
als bisher angenommen. Natürlich kommt es auch auf den genauen
Standort des Weihnachtsbaumes an: Steht er windgeschützt oder in
einer Schneise zwischen Häusern, wo der Wind so richtig durchpusten
kann?

Auch wenn dieses Jahr einige Weihnachtsmärkte geschlossen bleiben,
ist zu hoffen, dass die Weihnachtsbäume ausreichend verankert werden
und keine verheerenden Stürme aufziehen. Auch nicht im heimischen
Wohnzimmer...


Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.11.2020

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