Thema des Tages

19-11-2020 09:20

"Straßenbau" im Wolkenmeer

Besonders vom Satelliten aus kann man die beeindruckenden Strukturen
der sogenannten "Kármánschen Wirbelstraßen" gut bestaunen. Aber wie
kommt es zu deren Ausbildung? Und wo kann man solche Wirbelstraßen
beobachten?

Manche sehen wunderbar flauschig aus, andere können wiederum sehr
bedrohlich wirken, alle haben jedoch eines gemeinsam: Sie schweben
scheinbar am Himmel. Die Rede ist von Wolken. Gerade beim Blick aus
dem Flugzeug wirken sie federleicht. Und selbst große Gewitterwolken
geben uns trotz ihres bedrohlichen Aussehens nicht gerade den
Eindruck, als seien sie tausende Tonnen schwer. Zudem sind sie im
Stande, beispielsweise durch Interaktion mit der Erdoberfläche,
besondere Formen anzunehmen. Auf eine dieser Formen werfen wir heute
einen genaueren Blick. Es handelt sich dabei um riesige Wolkenwirbel,
die in der Meteorologie auch als "Kármánsche Wirbelstraße" bezeichnet
werden.

In den vorliegenden Beispielen (siehe Grafik zum Thema des Tages
unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/11/19.html)
wird die Wirbelstraße aufgrund der vorhandenen, flachen
Stratocumuluswolken, wie sie häufig im Randbereich der Tropen
auftreten, bei der Umströmung von einzelnen, aus dem Meer ragenden
Inseln sichtbar. In der linken Abbildung handelt es sich um eine
Satellitenaufnahme vom 08. November 2020. Diese zeigt die überwiegend
unbewohnte Insel "Alejandro Selkirk", die am weitesten westlich
gelegene Insel der Juan-Fernandez-Inseln im Pazifischen Ozean. Zwar
ist diese nur etwa 10 km lang und 7 km breit, die höchste Erhebung
der Insel ist jedoch immerhin 1650 m hoch und heißt "Cerro de Los
Inocentes". Auf der windabgewandten Seite (fachsprachlich als "Lee"
bezeichnet) dieser Insel bildete sich an diesem Tag eine Kármánsche
Wirbelstraße aus.

Aber nicht nur stromabwärts von Alejandro Selkirk lassen sich die
Wirbelstraßen sichten, häufig werden sie auch bei anderen, hoch aus
dem Meer ragenden Inselgruppen beobachtet. In der rechten Aufnahme
vom 27. Juli dieses Jahres lassen sich Wirbelstraßen auf den
windabgewandten Seiten von Madeira und der Kanaren erkennen. Auf
Madeira bildet der Berg Pico Ruivo zusammen mit dem Pico do Arieiro,
dem Pico das Torres und dem Pico Grande das zentrale Hochgebirge der
Insel mit einer Höhe von bis zu 1861 Metern. Die Küste Madeiras fällt
zum Meer hin steil ab. Besonders im Lee der westlichen Kanaren La
Gomera, La Palma und El Hierro kann man ebenfalls deutliche
Wirbelstraßen ausmachen. Immerhin liegt der höchste Punkt von La
Palma auf 2426 Metern Höhe. Bei den weiter östlich gelegenen Kanaren
ist die Wolkenstraße hingegen etwas schwieriger zu erkennen. Dort
fehlen Wolken im unmittelbaren Lee der Inseln, die die Wirbel
sichtbar machen. Weiter stromabwärts werden diese jedoch ebenfalls
deutlich. Weitere Beispiele für Inseln, in deren Lee sich regelmäßig
Kármánsche Wirbelstraßen bilden, sind beispielsweise Tristan da Cunha
im südlichen Atlantischen Ozean oder Guadalupe vor der Westküste
Mexikos oder Jan Mayen im Nordmeer.

Wie kommen diese Wolkenstraßen denn nun zustande? Bereits 1908 legte
Henri Bénard den ersten Grundstein in der Forschung zu dieser
faszinierenden Erscheinung, der es dem ungarischen Ingenieur und
Mathematiker Théodore von Kármán schließlich 1911 ermöglichte, die
Kármánsche Wirbelstraße nachzuweisen und zu berechnen. Dabei handelt
es sich um ein Phänomen aus der Strömungsmechanik, das bei
ausreichender Strömungsgeschwindigkeit im Windschatten eines
Hindernisses, also im Lee, anzutreffen ist. Grob vereinfacht kann man
sagen, dass ein Hindernis bei entsprechend geringer Geschwindigkeit
des umgebenden Fluids "laminar", also ohne sichtbare Verwirbelungen
umströmt wird. Steigt die Strömungsgeschwindigkeit, bilden sich im
Lee zunächst stationäre Wirbel, bei weiterer Geschwindigkeitszunahme
kommt es schließlich an dem umströmten Körper zu einer alternierenden
Wirbelablösung. Diese driften dann mit der Strömung stromabwärts.
Somit entsteht, wie in den Abbildungen dargestellt, ein mehr oder
weniger regelmäßiges Muster, das aus zwei versetzten Reihen von
Wirbeln mit entgegengesetztem Drehsinn besteht und von der Form und
Dimension des umströmten Körpers abhängt. Dass dieses Muster als
"Straße" bezeichnet wird, liegt übrigens an der Ähnlichkeit zu den
gleichmäßig gegeneinander versetzten Fußstapfen von Passanten.

Allerdings ist das Auftreten der Kármánschen Wirbelstraße nicht nur
auf Wolken beschränkt. Sie lassen sich vielerorts in der Natur und
Technik finden. Grundsätzlich können sie in allen gasförmigen und
flüssigen Stoffen nachgewiesen werden und treten recht häufig auf,
auch wenn sie nicht immer für das menschliche Auge sichtbar sind. Ein
weiteres Beispiel für die Bildung von Wirbelstraßen findet man bei
der Umströmung von Brückenpfeilern. Man kann sie übrigens auch selbst
erzeugen, in dem man beispielsweise in der Badewanne mit dem Finger
durchs Wasser fährt oder ein Räucherstäbchen rasch mit der Hand durch
die Luft bewegt. Viel Spaß beim Ausprobieren!



MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.11.2020

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