Thema des Tages

22-11-2020 08:20

Ein Jahr im Zeichen von La Nina

Die La Nina-Bedingungen im äquatorialen Pazifik verstärken sich, mit
Folgen für das globale Wettergeschehen?

Unter "La Nina" (spanisch für "Mädchen") versteht man eine
Abweichung, eine sog. "Anomalie" der Luft- und Meeresströmungen über
bzw. im äquatorialen Pazifik. Dieses ozeanographisch-meteorologische
Zirkulationssystem hat den - vielleicht etwas geläufigeren - Namen
"El Nino" (spanisch für "der Junge" oder "das Christuskind"). Die
vollständige und wissenschaftlich korrekte Bezeichnung für das
Gesamtphänomen lautet "El Nino-Southern Oscillation" (ENSO).
Normalerweise herrschen über dem äquatorialen Pazifik östliche
Passatwinde vor, die das sehr warme Oberflächenwasser des Pazifiks
von der südamerikanischen Küste weg in Richtung Australien und
Südostasien befördert. Dadurch quillt vor Südamerika kälteres Wasser
aus den Tiefen des Ozeans quasi als Nachschub nach oben. Das kühlende
Wasser begünstigt dort eher absinkende Luftmassen und
Luftdruckzunahme. Dieses Hochdruckgebiet sorgt für überwiegend
trockenes Klima. Im Gegensatz dazu herrscht über dem warmen Wasser
vor Südostasien und Australien durch aufsteigende Luftmassen im
Mittel Tiefdruck vor, womit eher viel Regen verbunden ist. In höheren
Luftschichten strömt die Luft entgegen der östlichen Passatwinde am
Boden zurück nach Westen: Es entsteht eine geschlossene
Zirkulationszelle, die "Walker-Zelle".

Veränderungen der Walker-Zirkulation können sich in die eine (El
Nino) oder andere Richtung (La Nina) vollziehen. Bei El Nino
schwächen sich die Passatwinde ab oder kehren sich gar komplett um.
Dadurch kann das warme Oberflächenwasser nicht mehr so effektiv nach
Westen transportiert werden. Infolgedessen schwächelt auch der
Auftrieb des kalten Tiefenwassers vor Südamerika und die Temperaturen
des ostpazifischen Meereswassers können durchaus mehrere Grad
ansteigen. Die Positionen von Hoch- und Tiefdruckgebiet verschieben
sich oder wechseln komplett ihre Position. Die Wolken, welche die
Niederschläge eigentlich an die asiatischen und australischen
Ostküsten bringen sollten, werden nun in die entgegengesetzte
Richtung getrieben und regnen über den sonst trockenen Westküsten des
amerikanischen Kontinents ab. Bei La Nina verstärken sich dagegen die
Passatwinde und damit auch die Walker-Zirkulation und die
entsprechenden Hoch- und Tiefdruckgebiete. Über dem südostasiatischen
Raum (z.B. über Indonesien) herrscht bei La Nina besonders rege
Tiefdruckaktivität und niederschlagsreiches Wetter, wohingegen vor
der südamerikanischen Küste überaus trockenes Wetter, dafür aber in
kaltem Meereswasser besonderer Fischreichtum anzutreffen ist.

In diesem Jahr manifestierte sich mit zunehmender Stärke ein La
Nina-Ereignis. Die Oberflächenwassertemperaturen des Ostpazifiks
lagen zuletzt gemittelt mehr als 1,5 Grad unter den klimatologischen
Mittelwerten. Derweil begünstigte La Nina über dem südostasiatischen
Raum eine sehr rege Taifun-Saison, über die an dieser Stelle auch
schon mehrfach berichtet wurde. Forscher gehen auf Grundlage
verschiedener Modellberechnungen von einer 95-prozentigen
Wahrscheinlichkeit aus, dass sich La Nina über den kompletten
nordhemisphärischen Winter rettet. Dabei prognostizieren sie keine
nennenswerte Abschwächung, eher sogar eine weitere Intensivierung.

Die ENSO hat derweil nicht nur direkte Auswirkungen auf das Wetter
der unmittelbar von der Zirkulation betroffenen Regionen, sondern
auch eine gewisse "Fernwirkung". Denn ENSO wechselwirkt mit anderen
globalen Zirkulationssysteme in Ozeanen und in der Atmosphäre, die
wiederum die regionalen Wettersysteme vor Ort beeinflussen.
Allerdings sind diese Wechselwirkungen vielfältig und komplex, zudem
keine ENSO-Anomalie wie die andere, wodurch die Art der Fernwirkung
kaum oder nur mit großen Unsicherheiten festgelegt werden kann.

Im Falle von La Nina sind die Vorhersagen der Fernwirkungen sogar
noch unpräziser als bei El Nino. Bereits durch die Medienwelt
geisternde Aussagen, La Nina führe in Mitteleuropa zu einem eisig
kalten, schneereichen Winter, kann man also getrost als
Kaffeesatzleserei bezeichnen. Zwar tendiert die Großwetterlage bei La
Nina tatsächlich zur Ausbildung eines umfangreichen, blockierenden
Hochdruckgebietes über dem Nordatlantik, an dessen Ostflanke wir in
eine kalte Nordströmung kommen könnten. Aus den bereits angeführten
Gründen bedarf es aber einer "etwas" umfangreicheren Analyse des
Zustandes der Atmosphäre und des Meeres, um zumindest eine
klitzekleine "Ahnung" von der eventuellen Wetterentwicklung im Winter
2020/21 zu bekommen. Aus seriös-meteorologischer Sicht lassen sich
also noch keine konkreten Aussagen über das Winterwetter treffen..

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 22.11.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst