Thema des Tages

08-12-2020 11:20

Küstenkonvergenz - Die Küste als Wetterscheide

Auf dem Festland ist das Wetter manchmal ganz anders als über dem
offenen Meer und den vorgelagerten Inseln. Eine Ursache (unter
mehreren) ist die Küstenkonvergenz.

Als langjähriger Sylt-Urlauber habe ich schon zu Schulzeiten im
Sommerurlaub bemerkt, dass das Wetter auf der Insel oft anders ist
als am gegenüberliegenden Ende des Hindenburgdamms, also auf dem
Nordfriesischen Festland. Von einer Düne aus beobachtete ich, dass
sich auf dem Festland dicke Wolken perlenkettenartig
aneinanderreihten, während über meinem Kopf und in Richtung Meer
blickend die Sonne schien. Oder es konnte beim Strandspaziergang auf
Regenkleidung verzichtet werden, obwohl der Wetterbericht einen
verregneten Tag vorhersagte und mir beim abendlichen Recherchieren
der Wettermeldungen schnell klar wurde, dass die Meteorologen für das
Festland durchaus Recht behielten.

In meinem Meteorologie-Studium erfuhr ich, dass meine Beobachtungen
mit den unterschiedlichen Eigenschaften von Meer und Festland zu tun
haben, die großen Einfluss auf das Wettergeschehen entlang der Küsten
haben können. Das wohl prominenteste Beispiel hierfür ist die
Land-Seewind-Zirkulation, die im Thema des Tages vom 16. Juni 2020
erklärt wurde. Ein weiteres wichtiges Phänomen ist die sogenannte
"Küstenkonvergenz", die die Küstenlinie mitunter zur Wetterscheide
macht. Doch was hat es damit auf sich?

Hauptverantwortlich für die meisten Küsteneffekte sind die
unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften von Meerwasser und
Landoberflächen. Beim Seewind (Landwind) ist die unterschiedliche
Erwärmung (Abkühlung) zwischen Meerwasser und Landoberfläche der
Auslöser für die Zirkulation. Für die Küstenkonvergenz ist hingegen
die unterschiedlich starke Bodenreibung verantwortlich. Über der (vom
Wellengang abgesehen) glatten Meeresoberfläche ist der
Reibungswiderstand der Luft sehr gering, sodass sie nahezu
ungehindert über das Wasser hinweg strömen kann. Anders über dem
Festland: Hindernisse unterschiedlicher Größe - von Bäumen und
Häusern bis hin zu Steilküsten oder Hügel- und Dünenlandschaften -
führen zu einem deutlich größeren Reibungswiderstand, wodurch die
Luftströmung abgebremst wird. Man kann sich das wie auf einem
eisglatten Gehweg vorstellen, über den man mit den Schuhen leicht
hinweg gleiten kann, während das Gleiten rasch abgebremst wird, wenn
man Sand auf den glatten Boden streut, der die Reibung stark erhöht.

Aus diesem Grund ist die Windgeschwindigkeit über der See in der
Regel deutlich höher als über dem Festland. Nehmen wir nun an, dass
der Wind vom Meer Richtung Festland (also auflandig) weht. In diesem
Fall strömt die Luft mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit
Richtung Küste, wo nun die Luftströmung durch die erhöhte
Bodenreibung merklich abgebremst wird (Abbildung 1 [linker Teil] und
Abbildung 2). Dadurch strömen die Luftmassen zusammen, da die
schnellere Luftmasse über dem Meer quasi auf die sich langsamer
bewegende Luft über dem Land "auffährt". In der Fachsprache
bezeichnet man dies als "Konvergenz" (genauer:
Geschwindigkeitskonvergenz). Bei einer konvergenten Strömung staut
sich also die Luft, wodurch ihre Dichte zunimmt. Dabei passiert mit
der Luft das gleiche wie im Verkehrsstau. Fährt man vom fließenden
Autobahnverkehr in einen zähfließenden Verkehr, verringert sich zum
einen die Fahrtgeschwindigkeit, zum anderen erhöht sich die
Verkehrsdichte, da die schnelleren Autos von hinten an die langsamer
fahrenden Autos aufrücken. Zusätzlich kann auch eine
Richtungsänderung des Winds ein Zusammenströmen von Luftmassen
bewirken (Richtungskonvergenz). Beide Effekte kann man entlang von
Küstenabschnitten beobachten und werden durch Reibung der
überströmten Luft an der Landoberfläche verursacht. Da die
Geschwindigkeit schneller an die Bodenrauigkeit angepasst werden
kann, kommt es zunächst zur Geschwindigkeits- und weiter landeinwärts
zur Richtungskonvergenz (Abbildung 1).

Welchen Einfluss hat nun die Küstenkonvergenz auf das
Wettergeschehen? Das Zusammenströmen führt dazu, dass entlang von
Küstenlinien die Luft zum Aufsteigen gezwungen wird (Abbildung 2). Da
die vom Meer kommende Luft meist recht feucht ist, entstehen schnell
Wolken. So kann man - wie in der eingangs beschriebenen Beobachtung -
manchmal über dem Meer keine einzige Wolke am Himmel erblicken,
während sich über dem Festland dicke Quellwolken (Abbildung 3+4)
aneinanderreihen. Ist die Luft zudem ausreichend labil geschichtet,
kann sie entlang der Küste oder über dem angrenzenden Festland bis in
große Höhen aufsteigen. Die Folge sind vertikal mächtige Schauer-
oder sogar Gewitterwolken (Abbildung 5). Haben sich schon über dem
Meer Schauer gebildet, ziehen diese Schauer mit hoher Geschwindigkeit
über die vorgelagerten Inseln hinweg, sodass man dort oft nur eine
kurze Regendusche abbekommt, während sich die Schauer auf dem
Festland stauen und für länger anhaltende Regenfälle sorgen können.

Anders herum funktioniert dieser Küsteneffekt übrigens auch. Weht ein
ablandiger Wind (vom Land Richtung Meer), wird die Strömung über dem
Meer wegen der abnehmenden Reibung beschleunigt. Wie beim sich
auflösenden Verkehrsstau strömen die Luftmassen (respektive Autos)
auseinander und die Dichte nimmt ab. Man nennt diesen umgekehrten
Prozess Divergenz. In der Folge sinkt die Luft ab und es kommt über
dem Meer zu einer Wetterbesserung. Es gibt also eine einfache
Erklärung, weshalb die Küste oft eine Wetterscheide ist.

Die Küstenkonvergenz kommt an sämtlichen Küsten der Welt vor. Handelt
es sich um gebirgige Küsten, können die Effekte noch deutlich stärker
als an der Nordsee ausgeprägt sein.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.12.2020

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