Thema des Tages

30-12-2020 11:20

"Nebel des Grauens" in der Silvesternacht 2019/2020

Kaum waren die ersten Feuerwerke gezündet, sorgte in der
Neujahrsnacht 2019/2020 stellenweise extrem dichter Nebel für Chaos.
Ursache war der sogenannte "Böllernebel".

Erinnern Sie sich noch an die letzte Silvesternacht? War es bei Ihnen
in den ersten Stunden des neuen Jahres 2020 auch sehr neblig? In der
Vorhersage- und Beratungszentrale ahnten wir schon im Voraus, dass
nach Mitternacht gebietsweise die Raketen schnell im Nebel
verschwinden - und es kam wie erwartet.

Kaum waren die ersten Silvesterraketen abgefeuert, entstand
vielerorts in Deutschland ein gruseliges Nebelmeer. Man konnte
sprichwörtlich die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen. Es dauerte
auch nicht lange, bis uns die ersten Anrufe von Feuerwehr und
Rettungsleitzentralen erreichten. Sie berichteten von extrem dichtem
Nebel mit Sichtweiten von nur 5 bis 10 Metern, der Autofahren nahezu
unmöglich machte. Bis in die Morgenstunden erfragten noch mehrere
Einsatzleiter, wie lange der extreme Nebel noch andauere. Sie klangen
teilweise geradezu verzweifelt und berichteten von apokalyptischen
Szenen. Über mehrere Stunden waren Rettungs- und Feuerwehreinsätze
nicht mehr möglich oder die Einsatzkräfte liefen zu Fuß vor den
Einsatzfahrzeugen her, um den Fahrern den Weg zu weisen. Man konnte
nur hoffen, dass zu diesem Zeitpunkt niemand schnelle Hilfe
benötigte.

Besonders dicht war der Nebel im Bereich von Siedlungen in einem
breiten Streifen, ausgehend vom Emsland und dem Osnabrücker Land über
das Ruhrgebiet und Nordhessen bis nach Franken. Auch aus dem
Verwandtenkreis des Autors kam die Nachricht, dass südlich vom
oberfränkischen Bamberg Nebel mit Sichten von nur etwa 5 Meter
herrschte und dass man nicht einmal mehr von der einen Straßenseite
die Häuser auf der anderen Straßenseite erkennen konnte! Selbst um 5
Uhr morgens waren noch über 20 Verkehrsmeldungen mit Sichtweiten
unter 10 Metern auf Autobahnen in NRW aktiv, auch in Hessen und
Franken gab es ähnliche Meldungen, wie z.B. auf dem
Frankenschnellweg, der A73 bei Erlangen.

Mitverantwortlich für den dichten Nebel waren die bunten Feuerwerke,
weshalb Meteorologen auch von "Feuerwerksnebel" oder "Böllernebel"
sprechen. Um dieses gefährliche Phänomen zu verstehen, schauen wir
uns zunächst an, wie "gewöhnlicher" Nebel entsteht. Besonders in
klaren Nächten kühlt die Luft durch (thermische) Ausstrahlung vom
Boden ausgehend immer weiter ab. Da kalte Luft weniger Feuchtigkeit
in Form von (unsichtbarem) Wasserdampf speichern kann, ist sie je
nach Feuchtigkeitsgehalt ab einer bestimmten Temperatur gesättigt.
Die Luft besitzt dann eine relative Feuchtigkeit von 100%. Bei
weiterer Abkühlung kondensiert das überschüssige Wasser zu kleinen
Wassertröpfchen und es bildet sich Nebel. Nebel ist also eine Wolke,
die am Boden aufliegt.

Damit Wasserdampf effektiv zu flüssigem Wasser kondensieren kann,
dienen sogenannte Kondensationskerne als Andockstation, um die sich
schließlich die Wassertröpfchen bilden (linke Abbildung).
Kondensationskerne sind winzige schwebende Luftpartikel (z.B. Staub-,
Salz- oder Rußpartikel), sogenannte Aerosole, die seit einigen
Monaten auch der Allgemeinheit ein Begriff sind. Werden nun
Feuerwerkskörper gezündet, gelangen zusätzlich zu den natürlichen
Aerosolen Unmengen an Rußpartikeln (Feinstaub) in die Luft - beste
Voraussetzungen also für die Bildung von Nebel. Anstelle von
vergleichsweise "wenigen" größeren Nebeltropfen bei einer
gewöhnlichen Anzahl von Kondensationskernen können sich mit dem
zusätzlichen Feinstaub unzählbar viele kleinste Nebeltröpfchen
bilden, die zu einem deutlich dichteren Nebel als unter
"Normalbedingungen" führen.

In der beschriebenen Silvesternacht führte ein Zusammenspiel mehrerer
Wetterfaktoren zu den extremen Ausmaßen des Böllernebels. An
Silvester überquerte tagsüber eine Kaltfront Deutschland von Nord
nach Süd und reicherte die Luft mit Feuchtigkeit an. Dahinter bildete
sich über Süd- und Westdeutschland rasch ein Hoch. Folglich lösten
sich die Wolken auf, der Himmel klarte auf und die Luft kühlte
schnell aus. So stieg die relative Luftfeuchtigkeit auf 95% oder
mehr. Im Ems-, Münster- und Osnabrücker Land bildete sich bereits vor
Mitternacht Nebel, im Rest des oben genannten Streifens fehlte nicht
mehr viel zur Sättigung (und Nebelbildung). Zudem herrschte nahezu
Windstille, sodass der Feinstaub nicht weggeweht wurde. Gleich zwei
Inversionen dienten als Deckel, unter denen sich der gesamte
"Feuerwerksdreck" ansammelte (rechte Abbildung). Im
Radiosondenaufstieg von Bergen (Niedersachsen) erkennt man zum einen
die Absinkinversion des Hochs in etwa 800 m Höhe sowie eine am Boden
aufliegende Inversion, entstanden durch Strahlungsabkühlung. Der vom
Feuerwerk verursachte Feinstaub konnte also nicht entweichen.
Feinstaubmessungen registrierten nach Mitternacht einen plötzlichen
Anstieg der Konzentrationen auf ein Vielfaches der Werte vom
Nachmittag. Die beschriebenen Wetterbedingungen erklären also die
extrem hohe Anzahldichte an Kondensationskernen und somit die Bildung
des unglaublich dichten Böllernebels.

In diesem Jahr ist Böllernebel natürlich kein Thema, nicht nur, weil
wegen der aktuellen Corona-Auflagen die Böllerei weitgehend
ausbleiben dürfte. Auch die Wetterbedingungen sind anders als in der
letzten Silvesternacht. Ein kleines Tief bringt uns nasskaltes
Wetter, zeitweise fällt Schneeregen oder Schnee. Nur in den
Niederungen im Südosten Bayerns könnte es stellenweise neblig werden,
am Silvesterfeuerwerk sollte das aber nicht liegen.

Einen guten Start ins neue und hoffentlich weniger turbulente Jahr
2021 wünscht


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.12.2020

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