Thema des Tages

10-01-2021 10:50

Plötzliche Stratosphärenerwärmung, was nun?

Am 05./06.01.2021 fand ein so genanntes "major sudden stratospheric
warming statt"(SSW). Was sich dahinter verbirgt und wie es dazu kam,
soll im heutigen Tagesthema beleuchtet werden. Ebenso sollen die
potenziellen Auswirkungen für die Mittel- und Langfristvorhersage
kurz erwähnt werden.

Eine plötzliche Stratosphärenerwärmung tritt statistisch gesehen alle
zwei Jahre im nordhemisphärischen Winter auf. Per Definition spricht
man von einem "major sudden stratospheric warming" oder einer
markanten plötzlichen Stratosphärenerwärmung, wenn neben einem
starken Temperaturanstieg in der oberen Stratosphäre über dem Nordpol
(siehe Grafik
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html) der
westliche Wind (zonal gemittelt, also auf einem Breitengrad, hier 60
Grad N zirkumpolar) in 10 hPa (in etwa 31 km Höhe) komplett auf
Ostwind dreht, also reversiert. Ein "minor stratospheric warming"
(schwächeres Ereignis) geht ebenso mit einer markanten
Temperaturerhöhung in der polaren oberen Stratosphäre, allerdings
nicht mit einer kompletten Windumkehr, einher. Hintergrund dieser
Definition ist eine markante Schwächung des stratosphärischen
Polarwirbels, die eine großräumige Veränderung auch troposphärischer
Zirkulationsmuster nach sich zieht.

Wie kam es nun zu diesem Ereignis? Die Frage scheint angesichts der
Ausgangsbedingungen nicht fehl am Platz zu sein. Haben wir doch seit
geraumer Zeit ein veritables "La Nina"-Ereignis (Kaltphase der
ENSO-Zirkulation (siehe Link Wetterlexikon) im zentralen und
östlichen äquatorialen Pazifik). In der Fachliteratur kann man
nachlesen, dass bei "La Nina"-Ereignissen normalerweise der
stratosphärische Polarwirbel nicht so stark gestört wird wie bei "El
Nino"-Ereignissen. Hintergrund ist hier der bei "La Nina" verringerte
Wellenfluss (Wärme- und Impulsflüsse) in die bzw. in der
Stratosphäre. Mit "La Nina" in Zusammenhang steht auch die pazifische
Zirkulation, d.h. grob gesagt hoher Luftdruck über dem Nordpazifik,
der wiederum das mehr oder weniger persistente Aleutentief schwächt.
Soweit zur Theorie. Was wir so ab Mitte/ Ende Dezember 2020 erlebt
haben, war neben deutlich zu hohen Meeresoberflächentemperaturen im
westlichen und nordwestlichen Nordpazifik ein ungewöhnlich starkes
Hoch mit eisigen Temperaturen über dem östlichen Sibirien/ der
Mongolei. Diese explosive Mischung der Temperaturkontraste führte
dann zu einer erheblichen Stärkung des Aleutentiefs (siehe Details
dazu im kommenden Thema des Tages am 14.01.2021 von Helge Tuschy).

Eins vergleichbar starkes Aleutentief findet man normalerweise in "El
Nino"-Jahren. Auf dessen Vorderseite werden starke Wärmeflüsse
meridional und vor allem vertikal in die Stratosphäre übertragen.
Diese Kopplung ist allerdings nur im Winterhalbjahr möglich, da dann
sowohl in der Troposphäre als auch in der Stratosphäre der mittleren
und hohen Breiten Westwinde vorherrschen und so die Wellenflüsse
miteinander interferieren (sich überlagern) können. Das führt in
jedem Fall zu einer Schwächung des stratosphärischen Polarwirbels
(SPV), da Wellenenergie auch in Wärmeenergie umgewandelt wird (d.h.
der im Grunde "kalte" Polarwirbel wird erwärmt). In unserem Fall
entsteht durch die stratosphärische Erwärmung ein Gebiet hohen
Luftdrucks in der Stratosphäre (auf der pazifischen Seite).
Idealerweise wird der SPV auch von der atlantischen Seite gestört.
Dann kommt es zum klassischen "Split" (Auseinanderbrechen) des SPV.

Beim diesjährigen SSW geht man eher von einer Mischform zwischen
"Displacement" (Verschiebung) des SPV vom Pazifik her und einem Split
aus, zumal ein erneutes "Warming" mit Windumkehr (60 Grad N, 10 hPa)
zur Monatsmitte prognostiziert wird. Alles in allem sieht es bei dem
diesjährigen Ereignis nach einer nachhaltigen Störung bzw. Schwächung
des SPV aus, womit wir schon bei den Auswirkungen sind, die uns
erwarten.

Hier soll nur kurz darauf eingegangen werden, im TdT vom 14.01.2021
wird es dann konkreter.

Auf jeden Fall setzt sich die Störung mit der Zeit dynamisch von der
Stratosphäre bis in die Troposphäre durch (klassisch geprägt durch
hohen Luftdruck über der Arktis). Damit einher geht ein deutlich
negativer Index der Arktischen und Nordatlantischen Oszillation (AO
bzw. NAO, siehe Link Wetterlexikon), wobei durch die Windumkehr bei
vermehrt meridionalen Strömungsmustern arktische Luftmassen weit nach
Süden vordringen. Die Fachliteratur beschreibt hierbei Eurasien
gegenüber Nordamerika als bevorzugt beeinflusste Region.

Prinzipiell sind SSW-Ereignisse mittlerweile relativ gut durch die
Wettermodelle vorhersagbar (auch in der Mittelfrist, da die Modelle
bis in die Stratosphäre hinauf relativ gut aufgelöst rechnen).
Probleme bestehen allerdings weiterhin bei der dynamischen Kopplung
Stratosphäre - Troposphäre einerseits und bei der Zuordnung zu
möglichen troposphärischen Strömungsmustern andererseits. Letztere
weisen doch eine ziemliche Variabilität auf. Hier könnte die
Statistik bei nun besserer und systematischer Erfassung der
Ereignisse in der Zukunft erheblich weiterhelfen. Ein anderes Problem
ist die zeitliche Einordnung der Auswirkungen, stellen sich doch die
troposphärischen Muster meist erst nach etwa 10 bis 15 Tagen nach dem
Ereignis um.

Zu guter Letzt soll noch erwähnt werden, dass der Einfluss eines
SSW-Ereignisses sogar zwei Monate oder länger auf die Troposphäre
anhalten kann. Da wären wir fast schon bei saisonaler
Wettervorhersage angelangt.

Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.01.2021

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