Thema des Tages

19-08-2016 14:40

Der Wind aus meteorologischer Sicht - ein Konstrukt verschiedener
physikalischer Kräfte
-Zweiter Teil: Die Kräfteverhältnisse-

Nachdem im gestrigen Thema des Tages die unterschiedlichen
physikalischen Kräfte (Druckgradientkraft, Corioliskraft,
Zentrifugalkraft), die auf Luftteilchen in der Erdatmosphäre
einwirken, näher betrachtet wurden, wird nun der Wind aus
meteorologischer Sicht unter die Lupe genommen.

Zunächst soll der Fokus dabei auf dem wohl wichtigsten "Wind" aus
meteorologischer Sicht gelegt werden. Dabei handelt es sich um den
sogenannten "geostrophischen Wind" der im Gleichgewicht zwischen
Druckgradient- und Corioliskraft weht. Ein im Anfangszustand ruhendes
Luftpaket wird dabei in einem vorhandenen (horizontalen) Druckfeld
aufgrund der Druckgradientkraft (Fp) vom hohen zum tiefen Druck
bewegt. Betrachtet man die Bewegungen und wirkenden Kräfte in einem
mit der Erde rotierenden (erdfesten) Koordinatensystem wird das
Luftpaket bereits mit der beginnenden Verlagerung aufgrund der
ablenkenden Corioliskraft (Fc) auf der Nordhalbkugel nach rechts, auf
der Südhalbkugel nach links abgelenkt. Mit zunehmender
Windgeschwindigkeit erhöht sich auch die Ablenkung durch die
Corioliskraft (Fc), und zwar so lange, bis diese Kraft dem Betrag
nach gleich der Druckgradientkraft (Fp), aber dieser entgegengesetzt
gerichtet ist. Der geostrophische (griechisch: geo = Erde und
strephein = drehen) Wind ist somit eine Luftströmung, die sich
einstellt, wenn sich die Druckgradientkraft (Fp) und die
Corioliskraft (Fc) ausbalancieren, d.h. sich ein Gleichgewicht
zwischen den beiden Kräften eingestellt hat. Dieser idealisierte, in
der Natur nicht vorkommende Wind weht parallel zu geradlinigen
Isobaren/Isohypsen (Linien gleichen Luftdrucks/Geopotentials), wobei
auf der Nordhalbkugel der tiefe Luftdruck in Strömungsrichtung links
und der hohe rechts liegt (Südhalbkugel: umgekehrte Lage der
Druckzentren) (vgl. http://bit.ly/2bpwgdI sowie Abbildung 1). In der
Meteorologie wird näherungsweise der Wind oberhalb der Grenzschicht
in etwa 2 km Höhe über Grund, wo die Reibung keinen Einfluss mehr
besitzt, als geostropischer Wind angenommen.


Realitätsnäher ist jedoch der nun betrachtete Wind. Dieser weht im
Gleichgewicht zwischen Druckgradient-, Coriolis- und zusätzlich der
Zentrifugalkraft und wird als "Gradientwind" bezeichnet. Der
Gradientwind weht dabei parallel zu den gekrümmten Isobaren und seine
Stärke ist proportional zum Druckgradienten in Normalenrichtung.
Damit ist er eine Erweiterung des geostrophischen Windes. Die Stärke
des Gradientwindes ist abhängig von der ihm aufgezwungenen Bahn.
Während bei zyklonalen Bewegungen (gegen den Uhrzeigersinn),
beispielsweise um ein Tief herum, nun sowohl die Zentrifugalkraft als
auch die Corioliskraft (vom Tief weg gerichtet) der
Druckgradientkraft (zum Tief hin gerichtet) entgegenwirken, müssen
bei antizyklonalen Bewegungen (mit dem Uhrzeigersinn), beispielsweise
um ein Hochdruckgebiet herum, die Zentrifugalkraft und die
Druckgradientkraft (zum Tief hin gerichtet) zusammen die
Corioliskraft (vom Tief weg gerichtet) ausgleichen. Allgemein stellt
der Gradientwind die beste Approximation des realen Windes dar (vgl.
Abbildung 2).

Einen Sonderfall beschreibt der dritte betrachtete Wind, der im
Gleichgewicht zwischen Druckgradient- und Zentrifugalkraft weht und
als "zyklostrophischer Wind" bezeichnet wird (vgl.
http://bit.ly/2b3jBMq sowie Abbildung 3). Anwendung findet der
zyklostrophische Wind vor allem in Äquatornähe, da hier die
Corioliskraft nur sehr gering ist. Auch bei kleinräumigen Strömungen
mit stark gekrümmten Isobaren/Isohypsen (kleiner Krümmungsradius) und
hoher Windgeschwindigkeit (z. B. Tornado) kann die
Coriolisbeschleunigung gegenüber der Zentrifugalbeschleunigung
vernachlässigt und zyklostrophische Winde vorübergehend auch in etwas
höheren Breiten erreicht werden. Da die Zentrifugalbeschleunigung
unabhängig von der Rotationsrichtung immer vom Drehzentrum aus nach
außen gerichtet ist und die Druckgradientbeschleunigung kompensiert,
können extrem kleinräumige "Tiefdruckzentren" (Tornados) theoretisch
sowohl zyklonal als auch antizyklonal rotieren. Grundsätzlich werden
in der Natur jedoch die zyklonalen Fälle weitaus häufiger beobachtet.


Zum Abschluss darf natürlich auch die Reibung in bodennahen
Luftschichten nicht völlig unberücksichtigt bleiben. In der
sogenannten "planetaren Grenzschicht" der Erdatmosphäre (untere 1,5
bis 2 km) wird der Wind durch die Bodenreibung gebremst. Dadurch
weht er nicht mehr parallel zu den Isobaren, sondern eher in Richtung
des tieferen Luftdrucks. Wird am Boden mehr Luft ins Tief geliefert,
als in der höheren Atmosphäre ausströmen kann, füllt sich ein
Tiefdruckgebiet mit der Zeit auf, was nichts anderes bedeutet, dass
es sich bis zur völligen Auflösung kontinuierlich abschwächt.

Egal aus welchem Blickwinkel man den "Wind" betrachtet, er
beschäftigt nicht nur Meteorologen. Viele physikalische Gesetze
lassen sich auch in die Astronomie transferieren, die sich auch mit
Winden auf Planeten und Monden mit einer hinreichend dichten
Atmosphäre beschäftigt. Gleichermaßen können auch in der Wirtschaft
detaillierte Kenntnisse über die physikalische Zusammensetzung des
wehenden Windes interessant sein.

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.08.2016

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