Thema des Tages

04-05-2021 08:50

Die zerstörerische Kraft des Winds

Wind besitzt ein enormes Schadenspotential und zählt daher zu den
gefährlichsten Wettererscheinungen. Aber wodurch werden Sturmschäden
eigentlich verursacht?


Heute steht uns mit Sturmtief EUGEN vielerorts ein stürmischer Tag
ins Haus. Sicherlich ist der heutige Sturm nicht mit verheerenden
Winterstürmen vergleichbar, wahrscheinlich wird er dennoch
mancherorts Schäden anrichten. Auch generell verursachen Sturmschäden
in Deutschland die meisten Kosten und stellen die größte
Unwettergefahr dar. Allein Sturm "Sabine" im Februar vergangenen
Jahres kostete den Versicherern in Deutschland 675 Millionen Euro.
Neben solchen Winterstürmen können auch sommerliche Gewitter
verheerende Schäden anrichten. Nicht selten gehen Gewitter mit
Sturmböen einher. Von schweren Gewittern erzeugte Fallböen erreichen
mitunter sogar Orkanstärke und können kilometerlange Schneisen der
Verwüstung hinterlassen. Die größten volkswirtschaftlichen Schäden
verursachen natürlich große Sturm- oder Orkantiefs, was neben den
Windgeschwindigkeiten vor allem an der räumlichen Ausdehnung der
Sturmfelder liegt. Gewitter hingegen hinterlassen meist nur
vergleichsweise kleinräumige Schäden, wobei diese lokal begrenzt
durchaus heftiger ausfallen können als bei den stärksten Orkanen der
Geschichte. Aber wieso besitzt Wind ein derartiges
Zerstörungspotential?

Wind ist nichts anderes als bewegte Luft. Bei ihrer Beschleunigung
wird Energie erzeugt, die sogenannte kinetische Energie. Trifft die
bewegte Luft nun auf ein starres Hindernis, wirkt auf dieses eine
Kraft, die die Energie abbaut. Das Besondere dabei ist, dass die
kinetische Energie proportional zum Quadrat der Windgeschwindigkeit
zunimmt. Bei einer Verdopplung der Windgeschwindigkeit wird die
vierfache, bei einer Verdreifachung sogar die 9-fache kinetische
Energie erzeugt usw. Trifft also Luft mit einer Geschwindigkeit von
100 km/h auf einen Gegenstand, so wird auf diesem die vierfache Kraft
ausgeübt wie bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Dies macht hohe
Windgeschwindigkeiten so zerstörerisch.

Die soeben beschriebene Krafteinwirkung auf einen Körper nennt man
"Windkraft" oder "Winddruck". Dabei ist der Winddruck neben der
Windstärke abhängig von der Ausrichtung des angeströmten Gegenstands.
Trifft der Wind senkrecht auf ein Hindernis (z.B. eine senkrechte
Hauswand), ist der Winddruck größer als bei einem schräg zugewandten
Hindernis (z.B. eine Dachschräge). Hält der Gegenstand dem Winddruck
nicht mehr stand, kommt es zum Sturmschaden. Auch die Form des
angeströmten Körpers hat Einfluss auf den Winddruck. Hält man
beispielsweise eine Schüssel in den Wind, dann wirkt auf ihr ein
stärkerer Winddruck, wenn der Wind in die Schüssel hineinweht als
wenn der Wind von außen auf die Schüssel trifft (Abb. 1). Auf diesem
Prinzip basieren auch Schalenkreuzanemometer, also die kleinen
Windrädchen, die Windgeschwindigkeiten messen. Der Wind übt einen
stärkeren Druck auf die dem Wind zugeneigten Schalen aus als auf die
umgedrehten Schalen auf der gegenüberliegenden Seite, wodurch das
Rädchen in Rotation versetzt wird. Um Sturmschäden zu vermeiden,
besitzen beispielsweise Baukräne eine drehbare Achse, sodass sich der
Kran mit dem Wind drehen kann, wodurch die Fläche des Krans, auf den
die Windkraft wirkt, minimiert wird. Auch elastische Gegenstände sind
weniger anfällig als starre, da sich erstere mit dem Wind bewegen
bzw. neigen können. Großflächige Waldschäden sind meist die Folge von
Winddruck.

Neben dem Winddruck gibt es noch weitere Effekte, die zu Sturmschäden
führen können. Zu nennen ist hauptsächlich die "Sogwirkung an
überströmten Flächen". Verantwortlich hierfür ist der sogenannte
"Bernoulli-Effekt". Dieses physikalische Gesetz besagt, dass der
Luftdruck an überströmten Flächen mit dem Quadrat der
Windgeschwindigkeit abnimmt. So entsteht an der Oberfläche des
überströmten Körpers ein Unterdruck und es kommt zu einer Sogwirkung.
Abgedeckte Dachziegel, Schäden an Flachdächern oder wegfliegende
Planen werden meist durch die Sogwirkung des Winds und nicht durch
den Winddruck verursacht. Der Unterdruck ist auch dafür
verantwortlich, dass einem das Atmen im Gegenwind schwerfällt, dass
ein Regenschirm im Wind nach oben umklappt und dass die speziell
geformten Tragflächen von Flugzeugen diesem den nötigen Auftrieb
verleihen.

Diese Sogwirkung ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Sog von
Tornados. Im Inneren des rotierenden Aufwindschlauchs eines Tornados
entsteht ebenfalls ein starker Unterdruck, durch dessen Sog alles,
was nicht niet- und nagelfest ist, in die Höhe gewirbelt wird. Die
Zerstörungskraft des Sogs von Tornados ist entscheidender als dessen
Windgeschwindigkeiten.

Zuletzt ist noch der Einfluss der Böigkeit zu nennen. Da der Wind
meist nicht mit konstanter Stärke weht, können Wind- und Sturmböen
Objekte in Schwingungen versetzen (z.B. schwankende Bäume im Wind).
Entspricht die Frequenz von aufeinanderfolgenden Böen in etwa der
Eigenfrequenz des Gegenstands, kann es zu einem
Aufschaukelungsprozess (Resonanzkatastrophe) kommen. Diese
Böeneinwirkung kann Bäume abknicken oder entwurzeln. In sehr seltenen
Fällen kann es sogar zum Einstürzen von Bauwerken kommen. Das
bekannteste Beispiel hierfür ist die Tacoma-Narrows-Brücke, die 1940
durch ein Zusammenspiel dieses Resonanzeffekts und der oben
beschriebenen Sogeinwirkung einstürzte.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 04.05.2021

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