Thema des Tages

15-05-2021 08:20

Drohende Naturkatastrophe am Arabischen Meer

Der ungewöhnlicher starke Zyklon TAUKTAE bedroht in den kommenden
Tagen Teile Indiens und Pakistans.

Schon seit einigen Tagen blicken Atmosphärenforscher und
Tropenwetter-Experten mit Sorge zum westlichen Indischen Ozean und
speziell zum Arabischen Meer. In diesen Tagen stellen sich dort
nämlich extrem förderliche Bedingungen für die Entwicklung starker
tropischer Wirbelstürme ein. Das betrifft gleichermaßen großräumige
wie regionale atmosphärische Strömungsbedingungen und nicht zuletzt
auch die Meeresoberflächentemperaturen.

Im Hinblick auf die großräumigen, globalen Strömungsbedingungen in
den Tropen ist die Madden-Julien-Oszillation (MJO) von herausragender
Bedeutung. Die MJO ist ein Zirkulationsphänomen, das innerhalb von 30
bis 60 Tagen in den Tropen, etwa zwischen 20 Grad Nord und 20 Grad
Süd, ostwärts einmal um den Globus wandert. Dabei wird zwischen einer
feuchten Phase mit verstärkten (schauerartigen und gewittrigen)
Regenfällen und einer trockenen Phase, in der die
Niederschlagsneigung unterdrückt wird, unterschieden. Die feuchte
Phase der MJO ist bereits Anfang Mai zum westlichen Indischen Ozean
gelangt und verstärkt sich dort unter zunächst nur langsamer weiterer
Verschiebung nach Osten. Damit sind die Grundvoraussetzungen für
Konvektion, also Schauer und Gewitter, gegeben.

Schaut man nun auf die regionalen Strömungsbedingungen, fällt auf,
dass gerade über Teilen des Arabischen Meeres sehr schwache Winde
herrschen und damit auch geringe Windscherung (Änderung des Windes
mit der Höhe). Zudem liegen die Temperaturen des
Meeresoberflächenwassers verbreitet mehr oder weniger deutlich über
den Mittelwerten. Warmes Meereswasser als Treibstoff und kaum
hemmende Windscherung: Es scheint alles angerichtet für besonders
kräftige Schauer- und Gewittersysteme, die zu starken tropischen
Wirbelstürmen heranreifen könnten.

Und tatsächlich: Betrachtet man am heutigen Samstagmorgen die
Satellitenbilder, erkennt man massive Bewölkung über dem Westindik,
die die aufflammende Schauer- und Gewittertätigkeit eindrücklich
aufzeigt. Besonders auffällig ist ein "Wolkenbatzen" vor der
Südwestküste Indiens, der sich bereits in deutliche Rotation um ein
Drehzentrum etwa 200 km vor der Küste des indischen Bundesstaates
Karnataka versetzt hat. Die starke, hochreichende Konvektion und
deren Drehbewegung um ein gemeinsames Zentrum veranlassten die
zuständigen Behörden dazu, das System als tropischen Sturm zu
klassifizieren. Der auf den Namen TAUKTAE getaufte Sturm ist der
erste dieses Jahres über dem nördlichen Indischen Ozean.

Die extrem förderlichen Bedingungen lassen eine weitere, sehr
schnelle Verstärkung vermuten. Schon heute dürfte TAUKTAE zu einem
waschechten Zyklon heranreifen. Nach Angaben des Joint Typhoon
Warning Center (JTWC) soll TAUKTAE bis kommenden Dienstag mit
mittleren Windgeschwindigkeiten über 200 km/h sogar die zweithöchste
Kategorie eines "extrem gefährlichen Zyklons" erreichen. Das
entspricht der dritthöchsten Kategorie der für Hurrikane angewendeten
Saffir-Simpson-Skala.

Allerdings ist die Vorhersage im Hinblick auf die Intensität relativ
unsicher, was insbesondere mit Problemen der Verlagerungsprognose
zusammenhängt. Am Rande eines Subtropenhochs weiter östlich wird
TAUKTAE zwar tendenziell nach Norden verfrachtet, allerdings ist
völlig unklar, in welcher Entfernung zur indischen Küste. Das
europäische Wettermodell IFS lässt den Zyklon sehr nahe entlang der
Küste nach Nordnordwest ziehen, sodass sich neben der Reibung an den
Landflächen auch trockene Luft hemmend auf die Verstärkung auswirken
kann. Im amerikanische Wettermodell GFS dagegen hält TAUKTAE
ausreichend Abstand zu störenden Land- und Luftmassen.

Doch selbst wenn TAUKTAE einen "Sicherheitsabstand" zur Küste hält,
treiben kräftige westliche Winde Schauer- und Gewitterwolken gegen
die Kardamon- und Nilgiri-Berge sowie die West-Ghats im Südwesten des
Landes, wo sie sich stauen und abregnen. Dadurch sind mehrere Hundert
Liter Regen pro Quadratmeter möglich, die zu Überschwemmungen und
Erdrutschen führen können.

Die Vorhersageunsicherheit lässt uns auch im Dunklen darüber, wo
TAUKTAE auf Land treffen wird. Wahrscheinlich passiert dies in der
zweiten Wochenhälfte (ab Mittwoch) irgendwo zwischen der
westpakistanischen Küste und der Küste des indischen Bundestaates
Gujarat. Dort drohen dann die heftigsten Auswirkungen durch
sintflutartige Regenfälle und Orkanböen - nicht zuletzt auch durch
die teilweise dichte Besiedlung.

Unabhängig davon, wie stark TAUKTAE nun wirklich wird, handelt es
sich um ein außergewöhnliches Wetterereignis, das im Kontext des
Klimawandels zu sehen ist. Denn starke Zyklone sind vor Beginn des
Monsuns eigentlich sehr selten, häuften sich allerdings in den
letzten Jahren deutlich. Das erste Mal seit Beginn
satellitengebundener Fernerkundung traten Zyklone über dem Arabischen
Meer in vier aufeinanderfolgenden Jahren (2018, 19, 20 und 21) auf.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.05.2021

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