Thema des Tages

17-06-2021 09:50

Von negativen Energien und Kochtopfdeckeln


Nicht selten ist viel Energie in der Atmosphäre vorhanden und
trotzdem entstehen keine Gewitter oder nur punktuell über dem
Bergland. Warum ist das so?


In diesen Tagen ist der Hochsommer in Deutschland angekommen. Bei
Spitzenwerten bis 37 Grad herrscht vielerorts eine starke
Wärmebelastung. Wenn es heiß ist, kommt vielen Menschen auch direkt
die Frage nach möglichen Gewittern in den Sinn. Wie wir an die
Gewittervorhersage im DWD mit Hilfe der sogenannten Zutatenmethode
herangehen, wurde bereits im Thema des Tages vom 09.05.2021 erläutert
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/5/9.html).
Heute soll es ganz konkret um die Frage der Gewitterauslöse gehen.

Beginnen wir mit einer Sache, die sich jeder gut vorstellen kann: Ob
bei Geburtstagen, Hochzeiten oder Geschäftseröffnungen. Mit Helium
gefüllte Luftballons sind da ein gern genommenes Utensil. Lässt man
die Ballons los, dann steigen sie nach oben, weil Helium eine
geringere Dichte als Luft hat und somit leichter ist.

Die Dichte der Luft selbst ist nicht überall gleich. Die Luftdichte
hängt von der Temperatur und vom Gehalt an Wasserdampf ab. So ist
trockene Luft schwerer als feuchte Luft oder kalte schwerer als warme
Luft.

Kommen wir zurück zu unserem Ballon und füllen diesen mit Luft die
eine Temperatur und Feuchte wie am Boden aufweist. Der Einfachheit
halber nennen wir den Ballon "Luftpaket".
Dann muss man noch wissen, dass sich die Temperatur in der Atmosphäre
ändert. In aller Regel nimmt die Temperatur mal mehr, mal weniger
stark mit der Höhe ab. Geben wir ihr den Namen "Umgebungsluft".

Wenn wir das Luftpaket nun starten lassen, dann ändern sich die
Eigenschaften der Umgebungsluft. Für ein weiteres (fortwährendes)
Aufsteigen des Pakets ist es erforderlich, dass es leichter ist, also
eine geringere Dichte aufweist. Das kann man vereinfacht mit der
Temperatur betrachten. Ist das Luftpaket wärmer als die
Umgebungsluft, kann es weiter aufsteigen. Beim Aufstieg nimmt seine
Temperatur fortwährend mit einer bestimmten Abkühlungsrate ab. Diese
Rate wird definiert über die Temperaturgradienten. Trockene Luft
kühlt dabei schneller als feuchte Luft ab. Die Umgebungsluft ist
hingegen nicht an eine bestimmte Abkühlungsrate gebunden. Sie
definiert sich über die Bedingungen der vorhandenen Luftmasse.

Warum muss man das jetzt alles wissen? Damit sich (Gewitter-)Wolken
und Niederschlag bilden ist es erforderlich, dass es diese
aufsteigenden Luftpakete gibt. Ein Paket steigt auf und kühlt sich
dabei ab. Solange es aber weiter wärmer als seine Umgebung ist, setzt
sich sein Aufstieg beschleunigend fort. Die resultierende Stärke
dieses Aufwindes definieren wir mit einer Energie, dem CAPE
(convective available potential energy). Je höher diese Energie ist,
desto kräftiger können die Aufwinde und damit auch die Gewitter
ausfallen.

Im Namen steckt aber auch schon das Wort "Potential". Das heißt es
handelt sich um eine Energie, die "potentiell" verfügbar ist. Es kann
somit also auch sein, dass die Gewitter diese Energie gar nicht
nutzen können.
Zurück zu unserem Luftpaket. Es kann ja durchaus passieren, dass
dieses gerade im unteren Atmosphärenbereich kälter als die
Umgebungsluft ist. Dann ist es auch schwerer und kann folglich nicht
bis zu dem Bereich aufsteigen, wo die "schöne" für die Gewitter
relevante Energie liegt. Auch dafür lässt sich eine Energie
definieren, das sogenannte CIN (convective inhibition). Dabei steht
inhibition für "Hemmung". Es handelt sich also definitionsgemäß um
eine negative Energie. Bildlich kann man sich dies als den Deckel auf
dem "Gewitterkochtopf" vorstellen, der erst einmal gebrochen bzw.
entfernt werden muss, bevor sich die Gewitter entwickeln und das
Potential nutzen können.

Aber wie kann der Deckel eigentlich gebrochen werden? Dafür brauchen
wir die Zutat Hebung. Wie im vergangenen Thema des Tages beschrieben,
können das zum Beispiel Fronten oder Windkonvergenzen sein, oder wenn
nichts vorhanden ist, auch die Orografie. Wichtig ist dabei nur, dass
der Deckel nicht all zu festsitzt, denn sonst kann auch die Hebung
nicht mehr helfen.

Auch heute stehen wir vor der Problematik, dass im Westen zwar viel
CAPE da ist, aber eben auch etwas CIN. Gleichzeitig mangelt es aber
an Hebung um den Deckel zu durchbrechen. Folglich kann die Energie
kaum genutzt werden. Ganz vereinzelt ist es aber nicht
ausgeschlossen, dass sich am späten Nachmittag und Abend mal ein
Gewitter entwickelt, dass dann auch kräftig ausfallen kann.
Morgen kommt die gedeckelte, energiereiche Luftmasse weiter ostwärts
voran. Dann sind Signale für Hebung auch besser vorhanden. Die
Luftpakete können also häufiger den Deckel durchbrechen und es muss
in einigen Regionen mit Schwergewittern gerechnet werden. Alle
Details dazu können Sie über unsere sozialen Kanäle und den
Internetauftritt sowie mit der WarnwetterApp verfolgen.



Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.06.2021

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