Thema des Tages

01-07-2021 09:50

Doch mehr Ordnung im Wetter-Chaos?

Nach dem berühmten "Schmetterlingseffekt", beschrieben durch Prof.
Lorenz (1963), befasst sich eine aktuelle Studie neben chaotischen
Verläufen auch mit strukturierten Wetterabläufen für längerfristige
Prognosen, in Abhängigkeit von den Ausgangsbedingungen in der
Atmosphäre.

Die heutige Auffassung "Wetter ist chaotisch" basiert auf der
bahnbrechenden Modellierungsstudie von Prof. Lorenz (Lorenz 1963a),
der die empfindliche Abhängigkeit der jeweiligen Lösungen von den
Anfangsbedingungen, auch bekannt als Schmetterlingseffekt,
vorstellte. Bei diesem Effekt wird davon ausgegangen, dass kleinste
horizontale und vertikale Änderungen meteorologischer Größen wie z.B.
Temperatur, Luftdruck, Feuchte, Windgeschwindigkeit u.a. an einem
beliebigen Ort in der Folge mitunter zu weitreichenden Änderungen der
Strömungsverhältnisse (und damit des Wetterablaufs) in der Atmosphäre
anderswo führen könnten. Gerade für längerfristige Wettervorhersagen
schaukeln sich solche kleinen Fehler auf und machen eine genaue
Vorhersage geradezu unmöglich, da die Berechnungen der Wettercomputer
dann auch chaotische Lösungen produzieren.

Diese konventionelle Sichtweise hat seit Jahrzehnten einen großen
Einfluss auf die Meteorologie, insbesondere auf numerische Wetter-
und Klimavorhersagen. Neuere Erkenntnisse, die durch Analyse und
Vergleich der ursprünglichen Lorenz-Modelle und des verallgemeinerten
Lorenz-Modells (GLM) gewonnen wurden, stellen jedoch die Gültigkeit
der Aussage "Wetter ist chaotisch" bei der Darstellung der wahren
Natur des Wetters in Frage. In einer neuen Studie von 2021 (für den
interessierten Leser auf Englisch zu finden unter: https://journals.ametsoc.org/view/journals/bams/102/1/BAMS-D-19-0165.
1.xml) werden neue Einsichten und Möglichkeiten unter Verwendung des
GLM gewonnen, um eine überarbeitete Sichtweise zu formalisieren, die
sich auf die duale Natur von Chaos und Ordnung im Wetter
konzentriert. Letzteres ist im Übrigen eine "intuitive Idee", die
viele Meteorologen sicherlich unbewusst haben, um diverse Ansätze zur
Verbesserung unseres Verständnisses der Vorhersagbarkeit und der
Wettervorhersage im Allgemeinen, insbesondere auf großskaligen
subsaisonalen bis saisonalen Zeitskalen zu präsentieren.

Im Folgenden sollen die wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Studie
zusammengefasst werden.

Bei dem klassischen Lorenz-Modell werden ausschließlich chaotische
Lösungen verwendet, um die Natur des Wetters zu definieren. Das
beinhaltet u.a. die Annahme, dass die Parameter des Aufheizens (eine
zunehmende Temperatur erhöht grob gesagt die Unordnung oder Entropie
des physikalischen Systems) immer positive Werte annehmen müssen.
Eine Konsequenz ist, dass eine anfänglich winzige Störung dann immer
zu einer signifikanten Änderung in der zeitlichen Entwicklung der
prognostischen Lösungen führt. Allerdings ist weder die Annahme noch
die Konsequenz anhand von Beobachtungen bisher verifiziert worden.

Wie bereits in einigen Studien dokumentiert, haben anfängliche kleine
Fehler keinen langfristigen Einfluss auf nicht-chaotische Lösungen
wie z. B. stationäre Wetterlagen oder wiederkehrende prognostische
Lösungen, was auch mit unseren täglichen Erfahrungen übereinstimmt.

Zwei wichtige physikalische Prozesse bestimmen das alternative
und/oder gleichzeitige Auftreten verschiedener Lösungstypen
(deterministisch und/oder chaotisch) und deren unterschiedliche
Vorhersagbarkeit:

-die akkumulierte negative Rückkopplung von kleinskaligen Prozessen,
was das Potenzial einer verbesserten Genauigkeit (durch eine Erhöhung
der vertikalen Auflösung oder verbesserte physikalische Prozesse) auf
den Plan ruft;
-Modulation durch eine langsam variierende Funktion des Aufheizens
(Temperaturerhöhung), die entweder zeitliche oder räumliche
Variationen des "Forcings" bzw. der großräumigen Antriebskraft (z. B.
Strahlung) darstellen kann, was zu unterschiedlicher Vorhersagbarkeit
über verschiedene Zeiträume oder Regionen führt.

Aus der numerischen Modellierungsperspektive kann dieses langsam
variierende Forcing analog zu so genannten internen Forcings wie z.B.
großräumigen synoptischen Wellen sein, die mitunter den Determinismus
(mathematische Vorhersagbarkeit) tropischer Wirbelsturmaktivitäten
liefern, oder zu externen Forcings wie langsamen Prozessen, die
hauptsächlich von Ozean- oder Landmodellkomponenten (z.B.
unterschiedliche Aufheizung) stammen.

Chaotische Prozesse zeigen eine starke Empfindlichkeit gegenüber
Anfangsbedingungen und besitzen eine endliche (eindeutige)
Vorhersagbarkeit. Allerdings kann die endliche (praktische)
Vorhersagbarkeit innerhalb eines realen Modells als Ergebnis
verschiedener Mechanismen auftreten, einschließlich meteorologischer
Instabilität von diversen Prozessen und/oder rechnerischem Chaos. Für
nicht-chaotische, stationäre oder nicht-lineare oszillatorische
(periodisch wiederkehrende) Lösungen ist deren Vorhersagbarkeit
deterministisch und daher kann ihre praktische Vorhersagbarkeit durch
Verbesserung der Genauigkeit des Modells und der Anfangsbedingungen
kontinuierlich erhöht werden.

Eine Grenze der (praktischen) Vorhersagbarkeit von 2 Wochen, die seit
Jahrzehnten vorgeschlagen wird, wurde kürzlich für Wettersysteme in
den mittleren Breiten vorgeschlagen (Zhang et al. 2019). Unter
bestimmten Voraussetzungen kann die Vorhersage regional und zeitlich
bis in den sub-saisonalen oder saisonalen Bereich ausgedehnt werden.

Andererseits kommt man bei energetischer Betrachtung der
atmosphärischen Prozesse zu dem Schluss, dass die gesamte kinetische
Energie (Bewegungsenergie, teils durch die Erddrehung, teils durch
umgewandelte potenzielle Energie (durch Strahlung als wichtigstes
Forcing)) innerhalb der Atmosphäre in etwa binnen einer Woche durch
Reibung abgebaut wird. Danach werden die Anfangsbedingungen quasi auf
null gestellt und der Zyklus der Energieumwandlung beginnt von Neuem.


Abschließend lässt sich festhalten, dass die Gesamtheit des Wetters
sowohl Chaos als auch Ordnung besitzt. Diese Einschätzung
unterscheidet sich grundlegend von der Laplacschen Sichtweise der
deterministischen Vorhersagbarkeit und der Lorenzschen Sichtweise des
deterministischen Chaos.

Solch eine differenzierte Sichtweise deutet sowohl auf Potenziale als
auch auf Herausforderungen hin, um unser physikalisches und
mathematisches Verständnis der Vorhersagbarkeit und Vorhersage für
Wetter und Klima zu verbessern.

Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 01.07.2021

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