Thema des Tages

19-07-2021 09:20

Wir können keine Tornados vorhersagen, aber...

Fragt man die Menschen, welche Begleiterscheinung sie in Zusammenhang
mit Gewittern am meisten fasziniert, dann ist die häufigste Antwort:
Tornados. Im heutigen Tagesthema sollen diese etwas näher betrachtet
werden.

Zum Verständnis empfiehlt es sich die Themen des Tages vom 09.05.2021
("Gewitterpotentialvorhersage"), vom 17.06.2021 ("Von negativen
Energien und Kochtopfdeckeln") sowie vom 22.06.2021 ("Super Zellen")
vorab zu lesen. Dort werden die Grundlagen der Gewittervorhersage
erläutert, die Frage nach der Auslöse von Gewittern beantwortet und
die vertikale Windscherung als Basis für besser organisierte Gewitter
diskutiert.

Oft verbindet man auch noch heute das Thema Tornados mit den USA.
Dabei kommt dieses Phänomen in Europa und Deutschland gar nicht so
selten vor, wir auch der jüngste Fall in Hodonin (Tschechien,
24.06.2021) zeigt. Schaut man auf die Statistiken der letzten 30
Jahre, so treten in Deutschland im Schnitt 40 Tornados im Laufe eines
Jahres auf, davon vier starke Tornados (mind. Stärkekategorie 2 von
5). In der Zeitreihe gibt es aber starke Schwankungen von Jahr zu
Jahr. So gab es zwischen 2003 und 2010 eine sehr aktive Phase mit in
der Spitze 102 Tornadofällen im Jahr 2006, davon 14 starke Tornados.
Nach einem weiteren Maximum im Jahr 2016 (82 Tornados) ist es die
letzten Jahre etwas ruhiger geworden. Im Jahr 2018 gab es nur 24
bestätigte Tornadofälle. Den letzten starken Tornado in Deutschland
gab es am 04.09.2019 in Bocholt.

Am häufigsten treten Tornados in der warmen Jahreshälfte zwischen Mai
und August auf, wobei der Juli die größte Anzahl der Tornadofälle
aufweist. Im Tagesverlauf werden Tornados am häufigsten in den
Nachmittags- und Abendstunden (14 bis 21 Uhr MESZ) registriert mit
einem Maximum zwischen 18 und 19 Uhr MESZ.

Nun stellt sich die Frage: Können wir Tornados auch wirklich
vorhersagen? Dafür muss man unterscheiden zwischen einer Vorhersage
(wenige Stunden oder einige Tage vorher) und dem sogenannte
Nowcasting ("Ist-Vorhersage"). Letzteres wird immer dann betrieben,
wenn die Gewitterlage bereits aktiv ist. Mit Hilfe von verschiedenen
Fernerkundungsmitteln (Radar, Satellit, Blitze, etc.) und
Anschlussverfahren wird die Stärke der Gewitter beurteilt und die
Ausprägung der einzelnen Begleiterscheinungen eingeordnet (Regen,
Wind, Hagel, Tornados).

Schaut man auf die Vorhersage, so ist die Basis häufig die Entstehung
einer Superzelle. Im dazu passenden Thema des Tages kann man
nachlesen, dass solche Gewitter eine sogenannte rotierende
Mesozyklone haben. Diese Mesozyklonen sind quasi die Mutterzellen von
Tornados. Damit sich daraus auch ein Tornado entwickeln kann, braucht
es zwei wesentliche Zutaten: 1. Eine möglichst niedrige
Wolkenunterseite und 2. Eine starke Änderung der Windrichtung (und
-stärke) in den unteren 500 bis 1000 m (Windscherung). Ist die
Wolkenuntergrenze zu hoch wird es schwierig die Entfernung bis zum
Boden zu überbrücken. Die Windscherung ist - vereinfacht gesagt -
nötig, um die Luft in Rotation zu bringen. Dafür schauen wir auch
noch auf eine andere Maßzahl, die sogenannte Helizität. Sie
beschreibt nichts anderes als das Potential für rotierende
Luftbewegungen.

In der Realität ist die Entstehung eines Tornados viel komplizierter
und an die Eigendynamik der Superzellen und ihre Auf- und Abwinde
gekoppelt. Daher bringt auch nicht jedes Gewitter bei gleichen
Voraussetzungen einen Tornado.

Im Nowcasting halten wir dann ganz gezielt nach rotierenden
Gewitterzellen Ausschau. Dabei hilft uns das Wetterradar, wo wir auch
die Windgeschwindigkeiten in Bodennähe betrachten können. Der Tornado
selbst ist zwar nicht zu erkennen, wohl aber die rotierende
Mutterzelle, also die Mesozyklone. Dies lässt sich gut am Beispiel
des jüngsten Tornados in Obercastrup vom 14.07.2021 sehen (siehe
Bild). Dieser ist im Zuge der Starkregenfälle an diesem Tag fast
komplett untergegangen.
Um tatsächlich zu wissen, dass die Mesozyklone einen Tornado
produziert, braucht es eine Bestätigung von Stormchasern oder
Aufnahmen aus dem Crowdsourcing. Lässt sich eine solche Bestätigung
mit einer aktiv rotierenden Gewitterzelle in Zusammenhang bringen,
dann wird auch von uns eine entsprechende Warnung herausgegeben.

Fazit: Tornados sind gar nicht so selten, wie man gemeinhin meint,
auch wenn es die vergangenen Jahre etwas ruhiger war. Tornados kann
man aufgrund ihrer Kleinräumigkeit im Vorfeld nicht vorhersagen. Man
kann aber mit Hilfe von "Kochrezepten" Regionen bestimmen, wo die
Auftrittswahrscheinlichkeit deutlich erhöht ist und auf dieses
Potential zum Beispiel mit dem Warnlagebericht hinweisen. Wenn die
Gewitter dann aktiv sind, ist es möglich mit Radarbildern und
Anschlussverfahren Superzellen zu identifizieren und im besten Fall
mit einer Meldung aus dem Crowdsourcing einen Tornado auch zu
bewarnen.

Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.07.2021

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