Thema des Tages

30-07-2021 11:20

Superzelle legt über 700 km zurück


Der Süden Bayerns wurde in der vergangenen Woche von heftigen
Unwettern heimgesucht. Einige dieser kräftigen Gewitter waren
Superzellen. Am Mittwoch zog eine dieser Superzellen von Oberbayern
bis in die Hohe Tatra und richtete auf ihrem Weg größeren Schaden an.



Die Region nördlich des Alpenrands wurde in der letzten Woche von
zahlreichen Unwettern geplagt. Die meisten dieser Unwetter gingen
dabei auf einen speziellen Gewittertyp, die Superzelle zurück. Das
besondere an Superzellen ist ihr beständig rotierender
Aufwindbereich, der bei normalen Einzel- oder Multizellen so nicht zu
finden ist. Darin liegt auch ihre besondere Heftigkeit und ihre
Langlebigkeit begründet. Denn ein Gewitter benötigt einen warmen und
möglichst feuchten Aufwind. Da wärmere Luft leichter ist (eine
geringere Dichte hat) als kalte Luft, steigt in diesem Aufwindbereich
warme Luft nach dem Archimedisches Prinzip auf und erhält das
Gewitter am "Leben". Irgendwann im Reifestadium des Gewitters
produziert es Regen oder auch Hagel, der zunehmend zum Problem für
das Gewitter wird. Der ausfallende Regen oder Hagel kühlt die Luft in
seiner Umgebung durch Verdunstung bzw. Schmelzen ab, sodass auf der
Rückseite des Gewitters ein kalter Abwind entsteht. Die kalte Luft
breitet sich dann am Boden aus und kappt den für das Gewitter
notwendigen warmen Aufwind. Bei einer Superzelle bleiben durch die
Rotation des Gewitters Auf- und Abwindbereich ständig getrennt,
sodass der Zustrom von warmer Luft, der die Gewitterzelle mit Energie
versorgt, nahezu durchgängig aufrechterhalten wird. Dies erklärt die
Langlebigkeit und die Heftigkeit von Superzellen. So sind Orkanböen
durch kräftige Fallwinde und heftiger Starkregen keine Seltenheit.
Nahezu alle großen Hagelereignisse stehen im Zusammenhang mit
Superzellen. Des Weiteren bildet die Rotation die Grundlage für
Tornados. Mehr zur Dynamik und Struktur von Superzellen finden Sie im
Thema des Tages vom 14.07.2019
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/7/14.html).
Typische Zugbahnen von Gewitterzellen am Alpenrand sind im Thema des
Tages vom 27.06.2021 beschrieben
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/6/27.html).
Am Mittwoch den 28.07. entstand erneut eine Superzelle im
Alpenvorland, doch dieses Mal nördlich von Rosenheim. Sie zog rasch
ostwärts und richtete teils schwere Schäden im Chiemgau an. Orkanböen
deckten Dächer ab, Bäume wurden entwurzelt, durch heftigen Starkregen
liefen Keller voll und örtlich gab es Ansammlungen von Hagelmassen.
Die Zelle zog weiter nach Oberösterreich, wo sie sich nochmals
verstärkte, Dächer und Häuser beschädigte und große Agrarflächen
zerstörte. Danach zog sie nach Wien und erreichte am Abend die
Slowakei. Erst in der Nacht löste sie sich östlich der Hohen Tatra
auf. In 13 Stunden legte sie dabei eine Strecke von über 700 km
zurück und gehört somit zu den langlebigsten Sperrzellen der
vergangenen Jahre. Die Abbildung zeigt die Blitzspur von Mittwoch
09:00 bis Donnerstag 01:00 UTC. Deutlich lässt sich die Zugbahn
erkennen. Der Grund für die lange Lebensdauer waren die guten
Bedingungen, die die Zelle vorgefunden hat. Neben schwülwarmer und
energiereicher Mittelmeerluft, gab es in den betroffenen Regionen
eine sehr große Windscherung. Als Windscherung bezeichnet man die
Änderung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Diese ist maßgeblich
für die Rotation in Superzellen verantwortlich.
Dieses Jahr treten Superzellen vom Alpenrand über Nordösterreich bzw.
in Südtschechien ungewöhnlich häufig auf. Ursache dafür war eine
besondere Wetterlage, bei der Tiefdruckgebiete immer wieder nach
Westeuropa zogen. Mitteleuropa lag dabei am Rand dieser
Tiefdruckgebiete auf der Vorderseite, wobei die betroffenen Regionen
mit sehr warmer und besonders feuchter Mittelmeerluft versorgt
wurden. Gleichzeitig stellten diese Tiefs die benötige Windscherung
bereit. Der Alpenrand ist für die Entstehung von Superzellen
besonders prädestiniert, da sich dort durch Überströmung der Alpen
oft ein Leetief bildet. Dadurch dreht der Bodenwind, wie auch am
Mittwoch geschehen, nochmals auf Ost, während in der Höhe Südwestwind
vorherrscht. Somit wird die Windscherung deutlich erhöht.
Wie geht es mit den Gewittern bei uns weiter? In der Nacht zum
Samstag gibt es im Süden nochmal lokale Unwetter. Dann ändert sich
die Wetterlage. Der Tiefschwerpunkt verlagert sich nach Skandinavien,
wobei auch im Süden kühlere Luft einfließt. Was Schwergewitter
angeht, stellt sich zunächst ein etwas ruhigerer Witterungsabschnitt
ein.


Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.07.2021

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